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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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deren Bildgeschehen er gar nicht zu erfassen suchte, nicht aufgehört hatte, die Möglichkeit einer kurzentschlossenen Verhaftung zu erwägen.
    Aber er wußte nur zu gut, was ihn in diesem Fall erwartete! Keinerlei stichhaltiger Beweis! Und auf der anderen Seite eine Vielzahl von Leuten, die gegenüber dem Untersuchungsrichter, der Staatsanwaltschaft, ja, dem Außen- und Justizminister ihren Einfluß geltend machen würden!
    Er ging ein wenig gebeugt. Seine Wunde schmerzte, und der rechte Arm wurde immer steifer. Dabei hatte ihm der Arzt nahegelegt: »Wenn der Schmerz zunimmt, kommen Sie umgehend zu mir. Sie können sich eine Infektion zuziehen …«
    Und nachher? Hatte er Zeit gefunden, daran zu denken?
    »Nun schau dir das an!« hatte am Morgen eine Dame im Majestic gesagt.
    Mein Gott, ja! ›Das‹ war ein Kriminalbeamter, der Verbrecher großen Kalibers daran zu hindern suchte, ihr Handwerk fortzusetzen, und der sich vorgenommen hatte, einen in ebendiesem Grandhotel ermordeten Kollegen zu rächen.
    ›Das‹ war ein Mann, der sich nicht von einem englischen Schneider einkleiden ließ, der nicht die Zeit hatte, sich jeden Morgen maniküren zu lassen, und dessen Frau seit drei Tagen das Essen vergeblich für ihn kochte und sich damit abfinden mußte, daß sie nichts von ihm hörte.
    ›Das‹ war ein ausgezeichneter Kommissar mit einem Gehalt von zweitausendzweihundert Francs im Monat, der sich nach einem abgeschlossenen Fall, wenn die Täter hinter Schloß und Riegel saßen, vor ein Blatt Papier setzen mußte, um die Liste seiner Auslagen zusammenzustellen, die Quittungen und Belege daranzuheften und sich dann doch noch mit dem Kassierer herumzustreiten!
    Maigret besaß weder ein Auto noch Millionen oder zahlreiche Mitarbeiter. Und wenn er sich erlaubte, über einen oder zwei Polizisten zu verfügen, mußte er nachher über ihre Verwendung Rechenschaft ablegen.
    Pietr, der Lette, bezahlte drei Schritte von ihm entfernt seinen Aperitif mit einer Fünfzig-Franc-Note, ohne das Wechselgeld zu nehmen. Das war entweder eine Angewohnheit oder ein Bluff. Dann betrat er ein Wäschegeschäft und verbrachte aus purem Zeitvertreib eine halbe Stunde damit, sich ein Dutzend Krawatten und drei Morgenmäntel auszusuchen, legte seine Krawatte auf den Ladentisch und ging wieder, während ein untadeliger Verkäufer ihn geflissentlich zur Tür geleitete.
    Die Wunde mußte sich tatsächlich infizieren. Manchmal wurde die ganze Schulter wie von Messern durchstochen, und Maigret tat die Brust weh, selbst der Magen schien in Mitleidenschaft gezogen.
    Rue de la Paix, Place Vendôme, Faubourg Saint-Honoré! Pietr, der Lette, ging spazieren …
    Endlich das Majestic, die Boys stürzten herbei, um ihm die Flügeltür aufzuhalten.
    »Chef …«
    »Bist du immer noch da?«
    Es war Inspektor Dufour, der zögernd, mit ängstlichem Blick aus dem Schatten trat.
    »Hören Sie … Sie ist verschwunden …«
    »Was redest du da?«
    »Ich habe getan, was ich konnte, das schwöre ich Ihnen. Sie hat das Select verlassen. Kurz darauf hat sie ein Modehaus, Nummer 52, betreten. Ich habe eine Stunde gewartet, bevor ich den Portier befragt habe. Man hat sie in den Salons der ersten Etage nicht gesehen. Sie ist nur durch das Haus gegangen, das einen Ausgang zur Rue de Berry hat …«
    »Na ja!«
    »Was soll ich machen?«
    »Dich ausruhen!«
    Dufour sah dem Kommissar in die Augen, dann wandte er schnell das Gesicht ab.
    »Ich schwöre Ihnen, daß …«
    Zu seiner großen Verwunderung klopfte ihm Maigret auf die Schulter.
    »Du bist ein braver Kerl, Dufour! Mach dir keine Sorgen, mein Freund!«
    Und er betrat das Majestic, erwiderte die Grimasse des Geschäftsführers mit einem Lächeln und fragte:
    »Der Lette?«
    »Er ist gerade in sein Appartement hinaufgegangen.«
    Maigret steuerte auf einen Fahrstuhl zu.
    »Zweite Etage …«
    Er stopfte seine Pfeife, und mit erneutem Lächeln, das noch ein wenig bitterer war als das vorhergehende, stellte er fest, daß er seit Stunden vergessen hatte zu rauchen.
     
    Vor Zimmer 17 zögerte er nicht. Er klopfte. Eine Stimme rief: »Herein!« Er trat ein und schloß die Tür hinter sich.
    Im Wohnraum brannte trotz der Heizung zu Dekorationszwecken ein Holzfeuer. Der Lette lehnte am Kamin und schob mit dem Fuß ein Stück Papier in die Glut, das aufflammte und den Brand stärker entfachte.
    Auf den ersten Blick erkannte Maigret, daß er nicht so ruhig war wie zuvor, aber er besaß Selbstbeherrschung genug, um sich seine

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