Mainfall
gegessen habe.«
»Aber er schmeckt Ihnen doch, oder?«, fragte sie interessiert.
»Ja, sehr, er schmeckt köstlich.«
Isabell hatte eine Flasche Weißwein aufgetischt, einen Elsässer Riesling, und ich wusste, dass ich auch diesen Wein von früher kannte, obwohl ich nicht sagen konnte, wo ich ihn getrunken hatte.
»Der erste Abend seit Langem, an dem ich nicht allein bin«, sagte Isabell irgendwann.
»Ja, für mich auch«, antwortete ich.
Wieder hätte ich sie am liebsten in den Arm genommen, hätte ihren schönen Körper an mich gedrückt, meine Lippen auf die ihren gesenkt, doch da war Ulrich, der wie unsichtbar zwischen uns stand, der seine bleiche, gelbe Hand zwischen uns schob, so als ob er sagen wollte: ›Du kannst mit ihr essen, aber mehr nicht, mein Freund!‹
Das war natürlich Ehrensache. Nie hätte ich sie angerührt, nie würden ihre Lippen die meinen spüren, solange Ulrich ihr Mann war und solange die geringste Hoffnung auf seine Genesung bestand.
Nach einiger Zeit tat der Wein seine Wirkung. Wir rätselten beide, woher ich kommen könnte. Isabell lachte, als ich sagte, dass ich wahrscheinlich ein entlaufener Sträfling sei, und sie lachte noch mehr, als wir uns vorstellten, ich wäre ein Mafiaboss, den sie in den Main gestoßen hatten.
»Du bist gebildet, du kannst vernünftig essen, du kennst Camembert und Riesling, du bist bestimmt ein französischer Graf, der mich gleich zum Rendezvous bittet«, kicherte Isabell. Sie sah dabei sehr glücklich aus, schlug ihre langen Beine übereinander und fuhr sich mit den rot glänzenden Fingern durch ihre dunklen Locken.
»Ja, ein Graf, den sie in den Main gestoßen haben, um ihre Erbschaft zu retten«, kicherte auch ich.
Irgendwie fand ich es mit einem Mal lustig, nicht zu wissen, wer ich war. Es machte mich interessant, ich konnte mir aussuchen, wer ich sein wollte, und ich konnte mir vorstellen, woher ich kam.
Isabell holte eine zweite Flasche Wein, die ich laut schnalzend entkorkte. Auch Isabell schien froh zu sein, einmal ihren Kummer vergessen zu können, und genoss das Abendessen offensichtlich.
»Vielleicht sind Sie sogar ein Millionär oder besitzen eine Insel in der Südsee«, prostete sie mir lauthals zu.
Im selben Moment ging die Tür zum Esszimmer auf.
»Mama, was macht ihr denn? Es ist so laut. Ich kann nicht schlafen«, jammerte der kleine Paul. Er stand im Schlafanzug im Türrahmen, barfuß und mit seiner Kuschelente im Arm.
»Ach, mein kleiner Liebling!«, rief Isabell und stürzte auf ihn zu. »Komm auf meinen Arm. Ich bringe dich wieder ins Bett.« Im nächsten Augenblick war sie mit dem Kleinen verschwunden.
Meine gute Stimmung war augenblicklich verflogen. Es war, als ob Ulrich mit seiner abgemagerten, knöchernen Hand ans Fenster geklopft hatte, um uns an ihn zu erinnern.
»Besser, wir gehen auch schlafen«, sagte Isabell, als sie vom Kinderzimmer zurückkam. Wahrscheinlich hatte sie die gleichen Gedanken wie ich.
Als ich anschließend im Bett lag, hörte ich, wie draußen der Regen gegen die Rollläden prasselte. Oskar hatte sich schon längst in seinem Kissen eingerollt und schlief selig. Auch er schien sein neues Heim zu genießen.
Mein Gott, wie dankbar war ich, endlich im Trockenen zu sein. Meine Bettwäsche duftete angenehm. Auch diesen Duft kannte ich, aber woher?
Meine aufgewühlte Stimmung hatte sich inzwischen wieder gelegt und mir wurde schmerzlich bewusst, dass dieses Leben auf Dauer natürlich keine Lösung sein konnte. Mein Geld wäre bald zu Ende, und dann? Ich konnte doch Brenners nicht einfach so auf der Tasche liegen. Aber welchen Beruf hatte ich gelernt? Wo könnte ich eine Arbeit annehmen? Wo Geld verdienen? Mit solchen Gedanken dämmerte ich in einen wohlverdienten Schlaf.
Am nächsten Morgen klopfte Isabell an meine Tür. Ich rieb mir die Augen. Licht schimmerte bereits durch die Ritzen der Rollläden. Es musste draußen taghell sein.
»Ja!«, rief ich.
»Ich bin’s, Isabell«, sagte draußen eine Stimme. »Ich bringe die Kinder zur Schule und gehe dann in den Buchladen.«
Schnell sprang ich aus dem Bett und öffnete die Tür einen Spalt.
»Tut mir leid. Ich habe total verschlafen. Muss hundemüde gewesen sein.«
»Hier, ein Hausschlüssel. Passt auch für die Garage. Dort sind Gartengeräte«, antwortete sie, drückte mir den Schlüssel in die Hand, sauste über den Flur zur Eingangshalle und schon war sie mit den Kindern verschwunden.
Ich zog den Rollladen nach oben und legte
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