Mainfall
gehen. Kurz vor 20 Uhr klingelte das Telefon. Isabell nahm den Hörer ab.
»Hier Brenner«, meldete sie sich. »Hallo, Herr Kommissar«, hörte ich sie sagen. Dann bekam ich eine Zeit lang nichts mit, sondern hörte nur Wortfetzen. Isabell wurde unruhig. Sie ging nervös hin und her, bis sie endlich den Hörer an mich übergab.
»Rotfux«, tönte es am anderen Ende der Leitung.
Der Kommissar sprach ganz langsam und deutlich. »Alle Spuren führen zu diesem internationalen Erpresserring, von dem ich Ihnen schon berichtet habe. Sie setzen Algerier und Marokkaner ein, die vor nichts zurückschrecken«, sagte er. »Also nehmen Sie sich in Acht. Kein wildes Campen, keine überfüllten Autobahnrastplätze, keine einsamen Ausflüge! Am besten, Sie bleiben immer bei Frau Brenner und den Kindern. Das ist wie gesagt die beste Tarnung für Sie.«
Rotfux klang sorgenvoll und sehr menschlich.
»Ich werde Ihren Rat befolgen, Herr Kommissar«, versprach ich und bedankte mich dafür, dass er mich so eindringlich gewarnt hatte.
»Du musst wirklich auf dich aufpassen«, sagte Isabell, nachdem ich aufgelegt hatte. »Ich habe dem Kommissar nichts von deinen Plänen verraten, aber eigentlich solltest du lieber die ganzen Ferien bei uns bleiben.«
»Das kann ich nicht, Isabell«, widersprach ich heftig. »Ich muss da etwas klären. Es geht um meine Vergangenheit.«
Isabell schwieg enttäuscht. »Ist denn das so wichtig?«, fragte sie nach einiger Zeit. »Könntest du nicht lieber an deine Zukunft denken?«
Was sie mit Zukunft meinte, konnte ich mir vorstellen. Sie war noch beim Friseur gewesen und sah mit ihren dunklen, welligen Haaren ganz verlockend aus. Trotzdem versuchte ich ihr klarzumachen, wie wichtig diese Sache für mich war.
»Ich kenne meinen Namen nicht, kenne Vater und Mutter nicht, weiß nicht, wie alt ich bin und nicht, woher ich komme. So kann ich nicht leben.«
Isabell stand im Wohnzimmer vor dem Fenster und sah mich traurig an. »Ich glaube, ich verstehe.«
Doch ich bezweifelte, dass sie es wirklich tat. Sie dachte an sich und die Kinder. Sie nahm mich, wie ich war. Sie wollte mich als Begleitung und da konnte meine Vergangenheit höchstens hinderlich sein.
Am Sonntag gleich nach meiner Audienz ging es los. Es war 13 Uhr, wir hatten noch in einem Schnellimbiss etwas gegessen und waren schon bald auf der Fahrt in Richtung Frankreich.
»Wenn wir heute bis Straßburg kommen, bleiben wir die erste Nacht im Elsass«, sagte Isabell.
Sie saß hinter dem Steuer. Paul und Corinna hatten auf der Rückbank die Box mit Oskar zwischen sich, der zusammengerollt in seiner Transportbox lag und schlief. Gegen 17 Uhr erreichten wir tatsächlich Straßburg. Isabell fuhr auf der Schnellstraße in Richtung Obernai, da es dort einen Campingplatz Municipal gab, bei dem in der Nähe sogar ein Freibad sein sollte. Der abendliche Straßburger Verkehr brauste in alle Richtungen und wir passten höllisch auf, dass wir uns nicht verfuhren. In der Ferne sah ich das Straßburger Münster zwischen dem Häusermeer der Stadt. Einen Moment lang musste ich an Melanie denken. Doch genau in diesem Augenblick überholte uns ein französischer Lieferwagen wie ein Verrückter und setzte sich dann ganz dicht vor uns. Isabell bremste scharf und der Wohnwagen hinter unserem Passat begann zu tanzen.
»Idioten!«, fluchte sie.
Es saßen zwei dunkelhaarige junge Männer in dem grauen Wellblech-Lieferwagen, der wie ein ausgebauter Campingbus aussah.
»Je jünger sie sind, desto verrückter fahren sie«, sagte ich.
Während ich das von mir gab, kamen mir der Lieferwagen und die darin befindlichen Männer auf einmal bekannt vor. Genauso hatte der Lieferwagen ausgesehen, von dem Melanie in Straßburg überfahren worden war. Aber ich war jetzt in Urlaubsstimmung und verdrängte den Gedanken, obwohl es mir schwerfiel, sofort wieder. Oskar schien das alles nicht zu berühren. Er kuschelte in seiner Transportbox, als ob nichts geschehen sei.
»Da, Obernai stand auf dem Schild«, meldete sich Corinna von hinten. Von der Schnellstraße ging es rechts ab und wir waren wenig später in diesem malerischen Fachwerkstädtchen im Elsass.
»Ist das schön hier«, freute sich Isabell beim Anblick der blumengeschmückten Fachwerkhäuser. Ich befürchtete schon, dass sie vor lauter Begeisterung mit unserem breiten Wohnwagen eine Hauswand rammen könnte, aber sie fuhr sicher durch den Ort in Richtung Campingplatz, der etwas außerhalb direkt neben dem
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