Make it count - Gefühlsbeben (German Edition)
Hilflosigkeit …
„Weißt du, wie sich das anfühlt? Zu wissen, dass er in sechs Monaten vor einem Scherbenhaufen steht, der mal sein Leben war?”
„Aber vielleicht …”
„Nein! Ich habe keinen Daddy, der Senator ist und Dinge hinbiegen kann. Ich habe kein schickes Haus, in dem es vier Gästezimmer gibt! Jason wird rauskommen und vor dem Nichts stehen. Weißt du, wie man mit Menschen umgeht, die unehrenhaft aus der Army entlassen worden sind?”
Natürlich weiß ich das nicht, weil ich mir über solche Dinge nie Gedanken gemacht habe. Vielleicht bin ich naiv, aber jeder Mensch verdient eine zweite Chance – und egal, was Jason gemacht hat, er hat seine Strafe abgesessen. Jared lacht bitter auf.
„Natürlich nicht! In der perfekten Welt von Oceanside gibt es solche Sorgen nicht!”
Perfekte Welt? Macht er sich über mich lustig? Über das, was ich ihm erzählt und anvertraut habe?
„Lynn Preston – entschuldige! – Chase fängt einfach ein neues Leben an. An einem schicken College!”
„Du bist so ein Arschloch, Parker.”
„Damit hast du verdammt recht.”
Obwohl meine Beine sich unsicher anfühlen, gehe ich langsam in Richtung Treppe, bevor die Tränen über meine Wange rollen, und er sieht, wie sehr er mich mit seinen Worten verletzt hat. Bevor ich die erste Stufe betrete, drehe ich mich noch einmal zu ihm um. Ich weiß, dass unter der Wut und dem Schmerz der Jared steckt, den ich habe kennenlernen dürfen. Den ich nicht so einfach aufgeben will.
„Weißt du, du bist richtig gut darin, anderen den Mut zum Aufstehen zu geben. Den Mut, etwas loszulassen. Schade, dass du dir selber dabei nie zugehört hast.”
„Das ist was anderes.”
„Ist es nicht! Dein Bruder wird deine Hilfe brauchen, um sein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen.”
„Mein Bruder … ist ein Idiot. Er hätte das niemals tun dürfen. Für ihn wäre alles gut gelaufen. Wenn er nicht … “
Jareds Augen schimmern verdächtig. Ich bleibe vollends stehen und sehe ihn durch das Treppengeländer hindurch an.
„Ich hätte …”
Die Worte wollen ihm nicht über die Lippen kommen und so langsam meine ich, ihn zu verstehen. Es geht nicht um das, was Jason getan hat. Jared rutscht an der Wand entlang auf den Boden.
„Ich hätte ins Gefängnis gehen sollen. Nicht er. Es war meine Schuld. Jason war zu Besuch, wir hatten Semesterferien. Mein Kumpel sagte, wir sollten zusammen rumfahren. Zur Tankstelle. Ich wusste nicht, dass er eine Waffe hatte.”
Ob Jared noch mit mir spricht oder mit sich selbst, kann ich nicht genau sagen, aber ich komme wieder auf ihn zu. Als ich vor ihm stehen bleibe, sieht er mich an.
„Ist es das, was du hören wolltest? Dass ich vor den Bullen abgehauen bin? Und Jason gesagt hat, er wäre es gewesen?”
Wenn auch noch nicht alles einen Sinn ergibt, kann ich ihn jetzt besser verstehen, als er denkt. Zu genau erinnere ich mich an all die Gedanken, die mich nach Simons Tod beschäftigt haben. Die Selbstvorwürfe, die Wut über sich selbst, die große Frage: Warum? Vor Jared gehe ich in die Hocke, lasse ihn keine Sekunde aus den Augen und hoffe, dass er mich nicht wieder wegstößt.
„Weil er nicht wollte, dass sie mich einbuchten. Weil das College dann für mich futsch gewesen wäre. Wieso hat er nicht daran gedacht, was aus ihm wird? So ein verdammter Idiot! Immer musste er mich beschützen.”
Er sieht mich mit einem traurigen Lächeln auf dem Gesicht an.
„Früher vor Pa und seinen Wutausbrüchen, dann vor den älteren Jungs. Sogar als ich mein Leben irgendwie im Griff hatte, musste er … Weil ich aus Colby rauskommen sollte. Mein Pa war immer sehr stolz auf Jason. Bei uns hängen überall Fotos von ihm in Uniform. Es bedeutet sehr viel, einen Sohn in West Point zu haben. Das ganze Städtchen war stolz auf ihn. Ich hingegen war nur auf dem Boston Bay College.”
Jared schüttelt den Kopf, als könne er noch immer nicht verstehen, was damals so furchtbar schiefgegangen ist.
„Und dann, einfach so, stellt er sich vor mich und sagt dem Officer, dass er gefahren sei. Dass ich nicht dabei gewesen wäre, als das in der Tankstelle passiert ist. Oder als mein Kumpel wie bescheuert rumgeballert hat.”
Auch wenn ich noch immer nicht sicher bin, was damals vorgefallen ist, reicht ein Blick in Jareds Augen, um zu verstehen, dass er das alles nicht gewollt oder geplant hatte. Ich sehe den verängstigten jungen Mann von damals, der mit allem überfordert war. Er schüttelt erneut den
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