Mal Aria
studiert hatte. Nach einigen Enttäuschungen, unter seinen Händen, am OP -Tisch, war er vor zwei Jahren radikal umgeschwenkt. Er hatte einen Garten angelegt, redetete nur noch von dem Garten. Im Wald sammelte er Heilkräuter, mit einem Pferd, an dem zwei Körbe befestigt waren.
*
In der Tür stand ein gut aussehender Mann mit einem Karton voller Graspflänzchen in der Hand. Das Lächeln musste er schon im Fahrstuhl aufgesetzt haben, so fest saß es. Er war diese Art Mensch, die einem augenblicklich das Gefühl geben wollte, dass sie im Besitz eines Geheimnisses war, das so revolutionär, so lebensentscheidend war, dass man es nur mit Auserwählten teilte. »Wo ist sie«, fragte er. »Ich will gleich zu ihr.« Er hatte immer noch den Graskarton in der Hand. Ana öffnete ihm die Tür zu ihrem Zimmer, nahm ihm die grünen Pflänzchen ab, in der Erde waren sie auf jungfräuliche fünf Zentimeter gewachsen. Schnell nahm ich am Kopfende Platz, dicht bei ihrem Haar, so dass wir ihn gemeinsam hereinkommen sahen.
Dr. Fernando runzelte seine Stirn, kniete vor ihr nieder, drückte ihre Hand, schaute ihr in die Augen, das Aufzugslächeln. Nun tat er etwas, was keiner der Ärzte vor ihm getan hatte: Er berührte sie. Er fühlte ihre Stirn, ihren Puls. Er ließ sie tief aus- und einatmen. Es waren die einfachsten, die schönsten Handlungen, weil in ihrer ruhigen Sicherheit schon eine Magie lag, die Heilung versprach. War es so einfach? Es hieß, mit der Erfindung des Stethoskops hätte auch die Entfremdung von Arzt und Patient begonnen, weil fortan kaltes Metall auf der Haut lag – wo vorher Haut auf Haut lag.
»Mach dir keine Sorgen, Carmen. In ein paar Tagen bist du wieder gesund«, sagte Dr. Fernando. »Ich bespreche alles mit deinen Freunden. Du bekommst einen Saft, der dich heilt, es wird alles gut«, er drückte noch einmal ihre Finger. Ich war ganz dicht bei ihr. Ihr Haar roch nach Hoffnung. Ich spürte, wie durch jedes Wort etwas in ihr zu leben begann, frisch und hell wurde wie eine Zitrone. Ja, jetzt würde alles gut werden. Diesen Glauben hatte Dr. Fernando so mühelos gepflanzt wie einen seiner Grashalme.
»Was hat sie?«, sagte Ana.
»Mein Saft wird ihr helfen. Der Saft ist phantastisch.«
»Aber was hat sie?«, sagte Carl.
»Ich weiß nicht, Dengue vermutlich, ziemlich sicher. Der Saft wird alle Giftstoffe aus ihrem Körper ziehen, egal, was es ist, glaubt mir.«
»Sie ist heute Morgen kollabiert«, sagte Carl.
»Wenn sie alle zwei Stunden ein Glas trinkt, geht es ihr schon in zwei Tagen besser. Das verspreche ich euch. Ich verschicke diesen Saft in die ganze Welt.«
Dieser Grasdoktor schnippelte die Fuji-Äpfel klein, schälte den Ingwer, schnitt das Weizengras, schnell flogen die Finger, ein Grinsen, triumphierend hielt er das Sieb aus Leinentuch in die Höhe. Der Glaube kommt zu denen, die sich sicher sind. Anas Frage, ob sie nicht auch einen Mixer verwenden könnten, parierte Dr. Fernando mit einem ausdruckslosen Gesicht. »Die Kraft eurer Hände, eures Körpers geht direkt in den Saft über. Was aus der Natur hineingekommen ist, muss durch sie auch wieder hinausbefördert werden«, orakelte er und überreichte ihnen das erste Glas. Es roch nach einer gemähten Wiese, die tagelang im Regenwasser gestanden hatte. Die ersten beiden Säfte um 11 Uhr und 13 Uhr trank und behielt sie. Die um 15 Uhr, 17 Uhr und 19 Uhr würgte ihre Kehle in einem einzigen Schwall hoch, den um 21 Uhr behielt sie wieder bei sich, den um 23 Uhr brachte sie selbst nach einer Stunde nicht hinunter, der Magen rumpelte fürchterlich. So ging das die ganze Nacht hindurch. Während Carl pausenlos presste, fütterte Ana sie weiter geduldig mit einem Teelöffel. »Du musst trinken, bitte, es macht dich gesund.« Grüne Wiesenflüssigkeit rann ihr seitlich die Mundwinkel hinab. Einmal kotzte sie Carl direkt vor die Füße, der das mit einem überraschten »Oh, danke!« quittierte.
Aber sie trank, sie trank, weil sie den Glauben trank. Einen Tag und eine Nacht lang ging das so, zwei Tage im Sinnesdelirium zwischen Gras und Ingwer. Es waren auch zwei gute Tage. In der Zubereitung des Saftes, dem Füttern, dem Entfernen der schmutzigen Laken, den Anrufen von Fernando lag in der dauernden Wiederholung etwas Beruhigendes. Pressen, Schneiden, Safttrinken. Jeder tat etwas, und es schien zumindest so, als löse man damit ein Problem. Das Leben war so übersichtlich und handlungsorientiert wie das eines Fußballers, der frei
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