Mala Vita
lesen. Leider habe ich sie nicht dabei.«
D’Aventura schloss die Augen zu schmalen Schlitzen, und seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Das sagen Sie mir erst jetzt?«
»Kann ich an einen Rechner?«
Der Comandante deutete auf das Zimmer nebenan. »Kommen Sie!«
Carlo folgte ihm ins Nachbarbüro. D’Aventura wies auf einen der Bildschirme. »Dort können Sie Mails abrufen. Aber beeilen Sie sich! Ich möchte nicht, dass das hier irgendjemand mitbekommt.«
»Sie trauen Ihrem eigenen Verein nicht?«
D’Aventura lächelte wie eine Sphinx.
»Das macht Sie glaubwürdig«, bemerkte Carlo, setzte sich, loggte sich ein und rief seine Mailbox auf. »Hier!« Er deutete auf den Monitor. »Lesen Sie selbst, das hat mir Roberto geschickt!«
D’Aventura überflog die Nachricht. Sein Blick raste über die Zeilen.
»Dio mio!«,
flüsterte er entgeistert. »Ich werde das ausdrucken, Signor Alberti.« Er gab den Druckbefehl, entnahm den Ausdruck, faltete ihn zusammen und steckte ihn in die Innentasche seines Jacketts. Seine düstere Miene versprach Unheil. »Ich weiß, dass ich Ihnen jetzt einige Unbequemlichkeiten abverlange. Aber wenn Sie Ihren Freund und sich selbst schützen wollen, haben Sie keine andere Wahl. Tun Sie bitte genau, was ich Ihnen sage! Sie gehen auf keinen Fall nach Hause – auch nicht zu Ihren Eltern oder irgendwelchen Verwandten. Haben Sie Freunde, bei denen Sie eine Zeitlang unterkommen können, ohne dass es auffällt? Vielleicht auf dem Land?«
Carlo sah den Comandante bestürzt an. »Aber weshalb denn?«
»Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, warum, weshalb, wieso! Sie sind in Gefahr, genau wie Ihr Freund. Ich kann und darf Ihnen nicht mehr sagen, haben Sie Verständnis dafür. Also, denken Sie nach!«
»
Dio mio!
Wie soll denn das gehen? Ich kann doch nicht einfach verschwinden!«
»Wenigstens für ein paar Tage, höchstens eine Woche«, erwiderte d’Aventura, ohne auf Carlos Einwand zu achten. »Dann sehen wir weiter …«
Carlo sackte in sich zusammen und schüttelte verständnislos den Kopf. »Der Exmann meiner Schwester lebt in der Nähe von Bergamo. Mit dem verstehe ich mich gut. Er ist der Einzige, der mir auf die Schnelle einfällt. Ich müsste ihn anrufen. Die Frage ist nur, was ich ihm erzählen soll.«
»Nichts!« D’Aventuras Miene nach zu schließen, meinte er es so, wie er es sagte. Unmissverständlich. »Rufen Sie an und klären Sie, ob er zu Hause ist. Ich sorge dafür, dass man Sie dorthin bringt. Sie können keinesfalls mit Ihrem eigenen Wagen fahren. Wir müssen Sie hier ungesehen herausbringen!«
»Ich muss ein paar Sachen mitnehmen. Ich kann nicht einfach so …«
»Kommt nicht in Frage!«, unterbrach ihn der Comandante. »Sie lassen sich zu Hause nicht mehr sehen! Notfalls kaufen Sie sich unterwegs das Dringendste. Haben Sie Geld dabei?«
»Ja, schon …«
»
D’accordo!
Ach, eh ich es vergesse. Sie lassen Ihr Handy abgeschaltet. Telefonieren Sie nicht! Versuchen Sie nicht, mit Ihrem Freund Verbindung aufzunehmen! Keine Mailpost! Surfen Sie nicht im Internet! Haben Sie mich verstanden? Und nun warten Sie hier auf mich!«
Während Carlo völlig verstört vor sich hinstarrte, hatte d’Aventura das Büro verlassen. Nach wenigen Minuten kehrte er mit einem schlaksigen jungen Mann zurück. »Commissario Lentini«, stellte der Comandante den Beamten in Zivil vor. »Ich habe ihm erklärt, um was es geht. Lentini weiß, was ich mit ihm anstelle, wenn er Sie nicht gesund bei Bergamo abliefert. Ich mache aus ihm Fischfutter. Geben Sie mir bitte sicherheitshalber Anschrift und Telefonnummer Ihres Schwagers, damit ich mit Ihnen Verbindung aufnehmen und Sie auf dem Laufenden halten kann.
Mi scusate!
Leider drängt die Zeit.« Der Comandante nahm den Zettel mit der Adresse entgegen, reichte Carlo die Hand und verabschiedete sich. Im Hinausgehen sagte er zu Commissario Lentini: »Ich habe es so gemeint, wie ich es gesagt habe!«
Nachdem d’Aventura einige Telefonate geführt hatte, hatte er sich zum Flughafen bringen lassen und war mit der Mittagsmaschine in Rom gelandet. Ein Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft hatte ihn am Flughafen in Empfang genommen und ihn, vorbei an der ehrwürdigen Engelsburg, direkt zur Piazza dei Tribunali gebracht. Im Justizpalast, einem monumentalen Gebäude am Ufer des Tiber, war er von Dottore Silvio Santapola bereits erwartet worden.
Nun saß er dem höchsten Ankläger Italiens gegenüber, einem Mann, den er sich viel imposanter
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