Mala Vita
jetzt schwierig«, erwiderte er. »Ich konnte meine Wohnung kaum verlassen. Dutzende von Fotografen lagen mit ihren Kameras auf der Lauer. Ich habe mich in aller Frühe aus dem Hinterausgang schleichen müssen und bin ein paar Haltestellen mit dem Bus gefahren. Ein Freund hat mir mein Auto gebracht. Ich hoffe, dass keiner der Reporter mitbekommen hat, dass ich hier bin.«
»Die Bluthunde werden auch ohne deine Hilfe bald auftauchen, darauf kannst du wetten«, murmelte Senna. »Gehen wir in mein Büro!« Er wandte sich um und zwängte sich durch aufgetürmte Umzugskisten und abgebaute Computeranlagen in das Büro am Ende des Ganges. Cardone folgte ihm. Das karge Ambiente und die schummrige Beleuchtung machten nicht den Eindruck, es handle sich hier um eine gutgehende Kanzlei, in der sich Ratsuchende die Klinke in die Hand gaben. Cardone hatte nie begriffen, was seinen Bruder dazu bewogen hatte, seine renommierte Kanzlei in Rom aufzulösen und sich ausgerechnet in seinen Heimatort am Lago Maggiore zurückzuziehen.
Nach Premeno, einem Bergdorf mit etwas mehr als siebenhundert Einwohnern, verirrten sich im Sommer bestenfalls Touristen, die durch das historische Ortszentrum streiften oder in der wildromantischen Gegend Wanderungen unternahmen. Cardone hatte sich des Öfteren gefragt, was in aller Welt drei tüchtige Anwälte in diesem abgeschiedenen Kaff suchten? Immerhin zählte sein Bruder schon wenige Jahre nach seinem Universitätsabschluss zu den kompetentesten Wirtschaftsanwälten Italiens. Milano, Bologna, Firenze – es gab wahrlich genug attraktive Städte, wo es an zahlungskräftiger Klientel nicht mangelte und in denen man weit erfolgreicher agieren konnte.
»Zieht ihr um?«, fragte Cardone irritiert und betrat Sennas Arbeitszimmer. Er musterte aufmerksam den Raum. Die gelben Vorhänge ließen das Licht wie durch einen Filter ein. Die Aktenregale waren wie leergefegt und die Schränke leergeräumt. Bündel von Papieren türmten sich auf dem Konferenztisch und auf Sennas Arbeitsplatz. Selbst auf den Besucherstühlen lagen Schriftverkehr und Gerichtsunterlagen aufeinandergestapelt. In Sekundenschnelle schoss eine Flut von Fragen durch Cardones Kopf, nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache, dass die Schlagzeilen in den Zeitungen seinen Bruder als dubiose Figur im Dunstkreis der Mafia bezeichneten.
»Ich würde dir gerne einen Platz anbieten«, wich Senna der Frage aus, »aber du siehst selbst. Außerdem bin ich ziemlich in Zeitnot; jeden Augenblick kann der Möbelwagen kommen, um die restliche Einrichtung abzuholen.«
»So plötzlich?«
»Was heißt hier plötzlich?«, entgegnete der Anwalt sichtlich angespannt. »Wir schließen die Kanzlei. Da du schon hier bist, könntest du Enricos persönliche Sachen mitnehmen, bevor Carabinieri oder der Staatsanwalt darin herumstöbern. Sie liegen in einer Kiste in seinem Büro.«
Cardone fühlte, wie sich zu seiner Trauer und seiner Bestürzung unterschwelliger Ärger gesellte. Er beschloss, sofort auf den Punkt zu kommen. »Was ist an den Zeitungsartikeln dran? Ich nehme an, du hast die Vorwürfe in der Presse gelesen.«
»Was die Reporter sich aus den Fingern saugen, sind Spekulationen. Mich überraschen die diffamierenden Berichte nicht im Geringsten. Solch ein grausames Medienspektakel bietet immer Raum für Mutmaßungen. Damit muss man leben.«
»Wie kannst du nur so emotionslos argumentieren? Weshalb bietet ihr dieser diskriminierenden Berichterstattung nicht Einhalt? Ihr seid doch Anwälte! Oder wollt ihr einfach zuschauen, wie Enrico in den Schmutz gezogen wird und alle Welt sensationslüstern im Dreck wühlt?«
»Gegenfrage!«, schnauzte Senna ihn ungehalten an. »Willst du gegen die Presse in den Ring steigen? Ich kann dir dazu nur eines sagen: Lass dich nicht mit denen ein! Je weniger du reagierst, desto schneller beruhigen sich die Gemüter. Übermorgen wischt sich der Leser den Hintern mit der Zeitung von gestern ab.«
Senna schien vom Tod seines Partners kaum berührt zu sein. Der sehnige, von der Sonne gebräunte Mann zeigte die kühle Distanz eines abgebrühten Juristen. Als wäre Cardone nicht anwesend, sortierte er Briefe und Prozessunterlagen. Roberto kannte den Partner seines Bruders nicht besonders gut, doch bei den seltenen Besuchen hatte dieser sich immer freundlich und aufgeschlossen gezeigt, ja beinahe herzlich. Und nun diese völlig neue, abweisende Seite. Er musste sich beherrschen, um seinen Unmut nicht zu zeigen.
Ȇbrigens, was hat
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