Mala Vita
aufgeregt im Zimmer hin und her. Plötzlich blieb er stehen. »Ich bin davon überzeugt, Enricos Ermordung hing mit seiner Arbeit zusammen.«
»Quatsch!«, knurrte der Anwalt, drehte Roberto den Rücken zu und suchte ein Dokument im Papierkorb, das er kurz zuvor hineingeworfen hatte.
»Der Bedarf an Heiligenscheinen ist sprunghaft gestiegen. Hast du dir auch schon einen angeschafft? Wenn ja, solltest du ihn vorsorglich blankputzen. Nicht, dass er Flecken hat, wenn jemand nachsehen will.«
Während Senna in den Tiefen des Papierkorbes wühlte, fiel Cardones Blick auf einen Zettel, der auf Sennas Schreibtisch lag. Schnell trat er einen Schritt näher und nahm ihn an sich. In Fettdruck stand als Überschrift: »Konten der Dreizehn«. Darunter waren Vornamen aufgelistet, hinter denen jeweils eine neunstellige Nummer stand. Intuitiv zählte er die Namen. »Womit war Enrico zuletzt beschäftigt?«, fragte er und hielt Senna den Zettel unter die Nase. »Was bedeutet das? ›Konten der Dreizehn‹? Hier stehen aber nur elf Namen.«
»Das geht dich nichts an!«, blaffte Senna. »Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt? Du bist nicht der Staatsanwalt!« Er riss Cardone die Liste aus der Hand und steckte sie in den Reißwolf.
Cardone sah Senna entgeistert in die Augen. »Stimmt. Ich bin nur ein Schreiberling. Aber auch ein Schreiberling kann denken. Wusstest du das? Und er fragt sich die ganze Zeit, weshalb der Partner seines Bruders ständig ausweicht und weshalb er ununterbrochen Kontoauszüge und obskure Listen in diesen Scheißreißwolf schiebt.«
»Weil der Partner die Sachen nicht mehr benötigt«, höhnte Senna.
»Hältst du mich für so verblödet, dass ich nicht eins und eins zusammenzählen kann? Entweder gebt ihr den ganzen Mist an eure Mandanten zurück, oder da stehen irgendwelche Zahlen drauf, die niemand sehen darf. Es ist deine verdammte Pflicht, mich nicht einfach im Regen stehen zu lassen.«
»Denke von mir aus, was du willst!«, sagte Senna mit süffisantem Unterton. »Du weißt doch, der Tod entbindet von allen Pflichten. Besonders von solchen, mit einem naiven Menschen überflüssige Gespräche zu führen.«
»Spar dir den Sarkasmus, Senna!«
»Mein Sarkasmus betrifft das, was deine Vorstellung offensichtlich übersteigt. Wir gehen in Rente!«
»Weil Enrico ermordet wurde, räumt ihr die Kanzlei und macht euch aus dem Staub?«
»Was hat das damit zu tun?«
»Ich weiß es nicht, sag du es mir! Pleite seid ihr garantiert nicht.«
»Roberto, ich gebe dir einen guten Rat: Verschwinde von hier! Verschwinde aus Premeno! Fahr nach Hause, und kümmere dich um deine Angelegenheiten! In dieser Kanzlei findest du keine Antwort. Und bemühe dich nicht, etwas zu konstruieren! Wir haben Enricos Sachen in besagte Kiste gepackt. Sie steht in seinem Büro. Nimm an dich, was du willst, und verschwinde!«
Cardone hob den Kopf und starrte den Rechtsanwalt an, als komme ihm ein Gedanke, dessen Tragweite er noch nicht ganz fassen konnte. »Vermutlich habt ihr darauf geachtet, dass keine dummen Erklärungen für Enricos Reise dabei sind.«
Doch Senna ließ sich nicht beirren, lächelte höflich und sagte: »Nimm das Zeug und geh!«
»Du wiederholst dich. Diese Büroauflösung stinkt zum Himmel.«
»Okay! Ich erkläre es einmal so, dass es auch ein romantisches Poetengemüt wie du versteht: Die Mandate wurden uns gekündigt. Also setzen wir uns zur Ruhe. Pantrini und ich haben beschlossen aufzugeben. Akzeptiere das endlich!«
»Senna, das ist die billigste Ausrede, die ich je gehört habe. Du lügst, das sehe ich dir an«, fuhr Cardone ihm wütend über den Mund. »Ihr schafft Tatsachen. Packt und verschwindet.« Er trat an den Schreibtisch heran und blickte dem Anwalt provozierend in die Augen. »Wo ist er eigentlich?«
»Wer?«, fragte Senna irritiert.
»Na, Pantrini, dein sauberer Partner. Wer denn sonst?«
Senna zuckte mit den Achseln und presste ein kaum verständliches »Unterwegs« durch die Zähne.
»Ihr habt Angst, dass euch die Polizei unangenehme Fragen stellt.«
Senna richtete sich auf und vergrub seine Hände in den Hosentaschen. Seine Augen funkelten feindselig. »Du willst hoffentlich damit nicht andeuten, dass wir etwas mit der Sache zu tun haben, oder?«
»Weshalb nicht? Offen gestanden, mir scheint der Gedanke inzwischen gar nicht so abwegig. Wo sind eure Mitarbeiter? Haben sie Urlaub? Oder sind sie plötzlich alle krank geworden?«
»Wir haben sie nach Hause geschickt. Sie hätten nur
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