Mala Vita
unverblümt an den Kopf geworfen hatte. In ihren Augen war er ein armer Schlucker, ein dichtender Habenichts ohne nennenswerte Zukunft. Doch mit einem Male sah alles ganz anders aus. Würde er den Anteil an der Kanzlei und sein Elternhaus verkaufen, wäre er mit einem Schlage alle Existenzängste los. Und Rosanna würde ihn mit anderen Augen sehen und ihre Meinung ändern. Wieder schlich sich schlechtes Gewissen bei ihm ein. Wie konnte er so pietätlos sein und jetzt an seine Erbschaft denken? Wie konnte er so plötzlich alle Werte in Frage stellen, die noch vor zwei Tagen so wichtig für ihn waren?
Pantrini schien in Cardones Gedanken lesen zu können und nickte ihm aufmunternd zu. »Verkaufe die Immobilien! So, wie ich dich einschätze, hast du ohnehin kein Interesse, hier in Premeno zu leben.«
»Woher willst du so genau wissen, wo und wie ich in Zukunft leben möchte, Matteo? Als Schriftsteller spielt es keine Rolle, an welchem Ort ich arbeite. Außerdem kann es dir doch ganz egal sein, wie ich mein Leben führen will.«
»Lass dir gesagt sein, lieber Roberto«, raunte Pantrini und sah Cardone durchdringend an, »Schweine und Künstler werden erst nach ihrem Tod geschätzt. Willst du darauf warten, bis du ein paar mehr oder weniger wichtige Bücher verfasst hast und dich irgendein Kritiker als unsterblich einstuft? Geh nach Pallanza zum Nachlassgericht, melde dein Erbe an und verschwinde nach Bologna! Es wäre sicherlich auch in Enricos Sinn …! Hau einfach ab!«
Bis vor wenigen Tagen war Cardone fest davon überzeugt, niemals nach Premeno zurückkehren zu wollen. Doch diese unverschämte Anmaßung, diese Impertinenz, mit der Pantrini und auch Senna versuchten, ihn loszuwerden, suchte seinesgleichen. Es war, als wollten sie ihn aus seinem Heimatdorf vertreiben. Vertrieben zu werden, das war etwas ganz anderes, als freiwillig zu gehen, oder auf ein Recht zu verzichten.
Cardone spürte, wie eine imaginäre Faust auf seinen Brustkorb schlug. Er hätte am liebsten laut geschrien. Unvermittelt kochte alles in ihm hoch. Plötzlich überwältigten ihn Wut, Enttäuschung und ohnmächtige Verzweiflung. Pantrinis »gute Ratschläge« waren der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Mit hochrotem Kopf sprang er auf und stieß den Stuhl mit einer Wucht beiseite, dass er quer über die Terrasse flog und mit lautem Getöse an die Wand krachte. Vornübergebeugt stemmte er seine Fäuste auf den Tisch. Mit loderndem Blick durchbohrte er den Anwalt. »Was seid ihr zwei doch für verlogene und hinterfotzige Scheißkerle!«, brüllte er. »Ihr wollt mich loswerden, was? Ihr denkt, ihr hättet einen Idioten vor euch? Ein sensibles Kerlchen, das man verjagt wie einen Hund? Ihr beide glaubt doch tatsächlich, dass ihr mich verarschen könnt!«
»Beruhige dich!«, versuchte Pantrini ihn zu besänftigen und hob abwehrend die Hände. »Es gibt keinen Grund durchzudrehen.«
»Ich würde dir am liebsten so lange die Fresse polieren, bis du mir sagst, was ihr vor mir verheimlicht.« Cardones Körper bebte vor Zorn. »Sei froh, dass du ein alter Sack bist, ich würde dich sonst auf der Stelle verprügeln!«
Noch bevor Pantrini antworten konnte, wandte Cardone sich ab und stürmte aus dem Ristorante. Auf dem Parkplatz angekommen, stützte er sich mit den Händen gegen das Autodach seines Fiat und atmete tief durch. Er war sich sicher, Senna und Pantrini kannten die Hintergründe des Mordes an seinem Bruder. Doch jetzt galt es, wieder zur Ruhe zu kommen, es galt, wieder klar zu denken, Abstand zu gewinnen. Nur so war es möglich, herauszufinden, was wirklich geschehen war.
Während er nach seinem Autoschlüssel in der Tasche kramte, bemerkte er am anderen Ende des Parkplatzes den dunkelblauen BMW . Er stieg nachdenklich in seinen Wagen und startete den Motor. Kaum hatte er den Gang eingelegt, fuhr auch die dunkle Limousine los, bog auf die Landstraße ein und verschwand mit hoher Geschwindigkeit hinter der nächsten Kurve. »Ein Tag voller Merkwürdigkeiten und Rätsel«, murmelte Cardone. Mit aufheulendem Motor folgte er dem Wagen, doch es war ein sinnloses Unterfangen. Die Bremslichter des BMW sah er in der nächsten Kurve ein letztes Mal. Wahrscheinlich sehe ich Gespenster. Ich muss mich ablenken, sonst werde ich noch verrückt, sagte er zu sich selbst.
Er nahm die Geschwindigkeit zurück und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Eine Menge Termine lagen an, und im Geiste ging er die Liste durch. Erst würde er
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