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Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)

Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)

Titel: Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tonino Benacquista
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überstürzten Abreise in die Normandie machte in der kleinen Gemeinde Cagnes-sur-Mer das Gerücht die Runde, der Amerikaner sei in seine Heimat zurückgekehrt, um ein Nervenleiden behandeln zu lassen.
    »Maggie, hier wird man mich in Ruhe lassen. Schriftsteller lässt man immer in Ruhe.«
    Nach diesem Satz stand Maggie auf und verließ türeschlagend und mit der festen Absicht das Zimmer, ihn bis zum Ende aller Tage in Ruhe zu lassen.
    *
    Madame Lacarrière, die Musiklehrerin, empfand die nachträgliche Teilnahme von Mademoiselle Blake an ihrem Unterricht als Wohltat. Im Gegensatz zu den anderen Schülern, die in ihrer Stunde die Mathe-Hausaufgaben machten oder ihren Französisch-Aufsatz noch einmal durchlasen, nahm Belle den Unterricht äußerst ernst und beteiligte sich stellvertretend für die ganze Klasse aktiv daran. Sie war die Einzige, die Dur und Moll unterscheiden konnte, die wusste, dass Bach vor Beethoven gewirkt hatte, und die, ganz einfach, singen konnte. Seit zwölf Jahren unterrichtete Madame Lacarrière, aber – und das war das Drama ihres Lebens – dem idealen Schüler war sie bisher noch nicht begegnet. Einem Schüler, den sie in die Geheimnisse der Musik einweihen konnte und den dieses Fach nicht mehr losließ, der deshalb selbst ein Instrument lernte oder gar mit dem Komponieren anfing. Kurzum, einem Schüler, der ihren Unterricht rechtfertigte, anstatt ihn infrage zu stellen.
    »Sagen Sie, Mademoiselle Blake …«
    Der Vorname Belle brachte alle Lehrer leicht durcheinander. Deshalb entschieden sie sich für »Mademoiselle Blake« als Anrede.
    »Unsere Schule organisiert zum Jahresende eine Veranstaltung, zu der alle Eltern und Ehemaligen eingeladen werden. Ich werde mit dem Chor Stabat Mater von Haydn einstudieren. Es wäre schön, wenn Sie mitmachen würden.«
    »Kommt nicht infrage.«
    »Wie bitte?«
    »Ich mache da nicht mit.«
    Ihrem Französischlehrer, der einen von Schülern geschriebenen Sketch inszenierte, hatte sie die gleiche Antwort gegeben. Und Madame Barbet, die ein zeitgenössisches Tanzstück aufführen wollte, hatte sie mit derselben Bestimmtheit eine Absage erteilt.
    »Aber überlegen Sie doch … Ihre Eltern werden auf jeden Fall dabei sein … Dann der Bürgermeister von Cholong … Die gesamte Lokalpresse.«
    »Ich habe mir das genau überlegt.«
    Belle stand auf und verließ unter den entgeisterten Blicken der Klasse ohne Erlaubnis den Unterricht, um sich im Schulhof ein wenig abzureagieren. Die gesamte Lokalpresse … Sie stellte sich Quintilianis Reaktion vor und fluchte, was für sie eher untypisch war. WITSEC verbot allen Familienmitgliedern jeden Auftritt in der Öffentlichkeit. Auch Fotos waren streng untersagt. Langsam wurde Belle auf alle, die ihr eine Rolle in diesem verdammten Spektakel zum Jahresende vorgeschlagen hatten, richtig wütend.
    »Belle, Sie sind schüchtern. In der Öffentlichkeit aufzutreten kann Ihnen helfen. Manch eine hat ihre Schüchternheit über das Theaterspielen verloren.«
    Sie, schüchtern? Sie war selbstsicher wie ein Filmstar! Unverfroren wie eine Nachtklubsängerin! Sie musste den Menschen, die sie gerne auf der Bühne gesehen hätten, den wahren Grund für ihre Enthaltung verschweigen: Ich bin kein dummes Mäuschen, das sich nur gerne bitten lässt. Ich darf einfach nicht auftreten, die Vereinigten Staaten von Amerika haben es mir verboten. Sonst setze ich mein Leben und das meiner Familie aufs Spiel. Und dieses Verbot gilt, solange ich lebe.
    Belle wurde ungeduldig. Noch zehn Minuten bis zur Mittagspause. Sie musste Warren sehen. Er war der Einzige, bei dem sie sich beklagen konnte, auch wenn er sich schon lange nicht mehr über ihre besondere Situation und den Fluch, der auf ihnen lag, beklagte. Sie ging zurück ins Hauptgebäude und setzte sich vor dem Klassenzimmer, in dem Warren gerade Geschichte hatte, auf den Boden.
    Schon als kleiner Junge hatte Warren gerne selbst bestimmt, was er lernen wollte und was nicht. Er plante sein späteres Leben bereits sorgfältig durch und beschränkte sich, was seine Bildung betraf, auf das Wesentliche. Die einzigen Schulfächer, die seiner Meinung nach ein Minimum an Aufmerksamkeit verdienten, waren Geschichte und Geografie. Ersteres aus Respekt für seine Herkunft, Letzteres konnte ihm bei der Verteidigung seines Territoriums vielleicht von Nutzen sein. Schon immer wollte er verstehen, wie die Welt funktionierte und wie sie vor seiner Geburt ausgesehen hatte. Schon in Newark interessierte er

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