Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
sich für seine Abstammung und seine Vorfahren. Wo kam seine Familie her, und warum hatte sie Europa verlassen? Wie sind aus Amerika die Vereinigten Staaten geworden? Warum hatten seine australischen Cousins diesen seltsamen Akzent? Wie haben die Chinesen es hingekriegt, dass es in jeder Stadt der Welt ein Chinatown gibt? Wieso hatten die Russen ihre eigene Mafia? Je mehr Fragen er beantworten konnte, desto besser wäre er darauf vorbereitet, das Imperium zu regieren, das er sich vorgenommen hatte zurückzuerobern. Und die anderen Schulfächer? Grammatik war etwas für Rechtsverdreher, Mathe etwas für Buchhalter und Sport etwas für Bodyguards.
Auf dem diesjährigen Lehrplan standen unter anderem ein kurzer Überblick über die internationalen Beziehungen vor dem Zweiten Weltkrieg sowie ein Abriss der Kriegsverlaufs in Europa. Heute Morgen hatte ihnen ihr Lehrer den Aufstieg des Faschismus in Italien und Mussolinis Machtergreifung beschrieben:
»Der Marsch auf Rom fand 1922 stand. Mussolini übernahm die Regierung. Nach der Ermordung des Sozialisten Matteotti machte er aus Italien eine Diktatur, einen totalitären Staat. Er träumte von einem Kolonialreich wie im antiken Rom und eroberte mit seinen Truppen Äthiopien. Da Frankreich und Großbritannien die widerrechtliche Aneignung afrikanischer Länder verurteilten, suchte er immer mehr die Nähe zu Hitler. Während des Spanischen Bürgerkriegs unterstützte er Francos Truppen. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gab es kaum eine ernst zu nehmende Opposition. Zur gleichen Zeit war in Frankreich …«
Die Geschichte nahm unter dem abwesenden Blick von zwanzig Schülern, die ungeduldig darauf warteten, ihren panierten Freitagsfisch zu verspeisen, weiter ihren Lauf. Der Tag war wärmer als der gestrige, der Sommer versprach dieses Jahr früher zu kommen. Warren, um historische Genauigkeit bemüht, hob die Hand.
»Und was ist mit der Operation Striptease?«
Das Wort »Striptease« weckte die gesamte Klasse zu einem völlig unerwarteten Zeitpunkt wieder auf. Der kleine Neue wollte bestimmt eine astreine Provokation hinlegen, nichts anderes erwartete die Klasse von jemandem, der Typen, die dreimal so stark waren wie er, in Schach halten konnte.
»Was willst du damit sagen?«
»›Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gab es kaum eine ernst zu nehmende Opposition.‹ Das waren doch Ihre Worte? Und was ist mit der Operation Striptease?«
Der Schulgong läutete die Mittagspause ein, aber erstaunlicherweise blieben alle auf ihren Plätzen. Monsieur Morvan hatte kein Problem damit, dass ein Schüler ihm in seinem eigenen Fach etwas beibrachte, und bat Warren deshalb fortzufahren.
»1943 wollten die Amerikaner auf Sizilien landen. Die CIA wusste, dass die einzige antifaschistische Kraft in Italien die Mafia war. Ihr Boss war Don Calogero Vizzini. Er hatte geschworen, den Duce ins Jenseits zu befördern. Deshalb wollten die Amerikaner, dass er ihre Landung organisiert. Aber um an ihn heranzukommen, mussten sie erst einmal die Gunst von Lucky Luciano gewinnen, der gerade seine fünfzig Jahre wegen Steuerhinterziehung im härtesten Knast von Amerika absaß.«
Warren wusste genau, wie die Geschichte weiterging, aber er tat so, als müsste er angestrengt nachdenken. Monsieur Morvan bat ihn, weiterzusprechen, er war fasziniert und amüsiert. Warren allerdings war unsicher. Hatte er nicht schon zu viel erzählt?
»Man hat Luciano aus dem Gefängnis freigelassen, in eine Leutnantsuniform der US -Armee gesteckt und mit ein paar Typen vom Geheimdienst in einem U-Boot nach Sizilien verfrachtet. Dort haben sie sich mit Don Calo getroffen, der ihnen das Versprechen gab, alles für eine Landung in drei Monaten vorzubereiten.«
Einige stürmten nach Warrens Vortrag ins Freie, während andere sitzen blieben und Fragen stellten. Die Vorstellung, dass ein Gangster bei der Landung der Alliierten mitgemischt hatte, imponierte ihnen. Warren behauptete, nicht mehr über die ganze Angelegenheit zu wissen. Auch wenn er ein besonderes Interesse für die finsteren Seiten der amerikanischen Geschichte hatte, so ging er über gewisse Details doch lieber schweigend hinweg. Was aus Luciano geworden sei, fragten die Jungs. Darin hörte Warren jedoch eine andere Frage: Kann ein Ganove auch als Held im Geschichtsbuch landen?
»Wenn euch das interessiert, im Internet gibt’s eine Menge Seiten zu dem Thema«, sagte Warren und versuchte, sich in Richtung Ausgang davonzustehlen.
Doch Monsieur Morvan
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