Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
hielt ihn zurück und wartete, bis das Klassenzimmer leer war.
»Ist das etwa dein Vater?«
»Was, mein Vater?«
Beinahe hätte Warren losgeschrien. Wie kam er eigentlich dazu, die Heldentaten von Luciano zu preisen, seinem größten Idol nach Al Capone? Wie oft hatte Quintiliani sie ermahnt, unter keinen Umständen sensible Themen wie die Mafia oder ihre amerikanische Variante, die aus Sizilien stammende Cosa Nostra, anzuschneiden. Nur weil er vor seiner Klasse große Töne spucken wollte, musste seine Familie vielleicht nach einem Monat schon wieder die Koffer packen.
»Wenn ich es richtig verstanden habe, ist dein Vater ein Schriftsteller, der sich in Cholong niedergelassen hat, um ein Buch über den Zweiten Weltkrieg zu schreiben. Das hat er dir doch erzählt?«
Der Junge griff bereitwillig nach der Rettungsleine, die der Lehrer ihm entgegenhielt: Sein Vater half ihm jetzt aus der Patsche. Sein Vater, der weder wusste, wann die Amerikaner in den Zweiten Weltkrieg eintraten, noch, wann seine eigenen Kinder geboren wurden. Sein Vater, der weder Sizilien im Umriss zeichnen konnte, noch wusste, warum Luciano den Beinamen Lucky hatte. Dieser selbst ernannte Schriftsteller hatte seinem Sohn nun aus einem ziemlichen Schlamassel geholfen.
»Er hat mir einige Sachen erklärt, aber ich habe nicht alles behalten.«
»Was ist denn aus Luciano geworden?«
Warren begriff. Es gab keine Chance, sich zu verdünnisieren.
»Er hat später diese gigantische Pipeline gebaut, die noch heute die USA mit Heroin versorgt.«
*
Zu Beginn des Nachmittags fasste sich Maggie ein Herz und begann mit den Vorbereitungen für das Barbecue, zu dem Fred das ganze Viertel eingeladen hatte. Gibt es eine bessere Möglichkeit, die Menschen kennenzulernen? Sich unter sie zu mischen, Maggie, und von ihnen akzeptiert zu werden? Sie musste ihm recht geben, so ließ sich Misstrauen aus der Welt schaffen und eine freundliche Stimmung aufbauen. Auch wenn sie ihrem Mannunterstellte, dass er vor allem sein neues Hirngespinst in der Öffentlichkeit ausleben wollte: Schriftsteller sein.
»Maggie!«, tönte es wieder einmal aus der hintersten Ecke der Veranda. »Machst du mir einen Tee? Ja oder nein?«
Fred umklammerte mit den Ellbogen seine Brother 900, die gespreizte Hand ruhte auf dem Kinn. Er wollte dem Strichpunkt auf die Schliche kommen. Den Punkt kannte er, das Komma auch, aber den Strichpunkt? Wie konnte ein Satz enden und gleichzeitig weitergehen? Irgendetwas sträubte sich in seinem Kopf gegen die Idee einer Kontinuität, die plötzlich abbrach, oder gegen die Idee eines Endes, das gar keines war. Oder war damit irgendetwas dazwischen gemeint, wer weiß? Gab es etwas im wirklichen Leben, das einem Strichpunkt entsprach? Vielleicht die dumpfe Todesangst, die sich auf seltsame Weise mit der Hoffnung auf ein Jenseits verband? Genau. Aber was noch? Eine gute Tasse Tee hätte den Gang seiner Gedanken befördert. Wider Erwarten beschloss Maggie, seinem Gequengel nachzugeben, allerdings nur, um einen heimlichen Blick auf die Seiten werfen zu können, die er schon den ganzen Tag vollschrieb. Normalerweise pflegte Fred seine Marotten nur kurze Zeit; sie verschwanden so plötzlich, wie sie gekommen waren. Aber die Komödie, die er sich derzeit selbst vorspielte, war einmalig, mit nichts zu vergleichen.
Fred machte einen Versuch und setzte einen Strichpunkt.
Einen Feind krepieren zu sehen macht mehr Freude, als einen neuen Freund zu finden; wer braucht schon neue Freunde?
Je mehr er seinen Strichpunkt betrachtete, desto unklarer erschien er ihm, geradezu scheinheilig kam er ihm vor. Deshalb versuchte er, das Komma mit Tipp-Ex zum Verschwinden zu bringen, ohne dabei den Punkt zu beschädigen.
Da hörte er Maggie entsetzlich schreien.
Fred stieß beim Aufstehen den Stuhl um und stürzte in die Küche. Seine Frau stand mit dem Teekessel in der Hand entgeistert vor der Spüle, in die sich ein dicker, bräunlicher, übel riechender Strahl Flüssigkeit ergoss.
*
Als Maggie um Punkt fünf Uhr die Liste der Salate und Beilagen durchging, fehlten nur noch der Krautsalat und eine Schüssel mit Ziti, kleinen überbackenen Cannelloni, ohne die in Newark keine Barbecueparty perfekt war. Sie hielt kurz inne und sah, von schlechtem Gewissen geplagt, auf ihre Armbanduhr und dann zum Haus Nummer neun gegenüber, wo hinter einem Fenster ein Mensch stand, unbeweglich wie eine Figur aus Pappmaché. Daraufhin füllte sie eine Aluminiumschale mit marinierten
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