Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
sprachen von der Oper. Wie alle anderen ging auch sein Vater ab und zu in die Oper. Manchmal trieb sie ihm sogar eine Träne in die Augen. Das lag bestimmt an der italienischen Sprache. Don Mimino wollte wissen, was an der Metropolitan Opera in New York auf dem Spielplan stand.
»Nichts, was Ihnen gefallen wird, Don Mimino. Boris Godunow , komponiert von einem Russen.«
Und Don Mimino erwiderte wie aus der Pistole geschossen:
» Boris Godunow? If it’s good enough for you, it’s good enough for me. Wenn es gut genug für dich ist, ist es auch gut genug für mich.«
Alle lachten.
Und im Kopf des fünfjährigen Warren wurde aus dem Namen Godunow ebenfalls ein good enough. Die Wörter wurden verdreht, und in Lichtgeschwindigkeit entstand ein neuer Sinn. Fast körperlich spürte Warren dieses perfekte Ineinandergreifen von Wort und Bedeutung, und er war stolz auf sich und seinen Grips. Er hatte diesen Witz sofort kapiert, was er wie eine Aufnahme in den erlesenen Kreis empfand, die ihn unbändig freute. Jetzt brauchte er sich vor niemandem mehr zu verstecken, jetzt gehörte er wirklich dazu. Mit einem Schlag hatte sich auch sein Blick auf den kleinen Mann mit dem weißen Haar geändert. Ein einziger Satz Don Miminos hatte genügt – und alle hielten die Klappe. Ein Beweis für seine Schlagfertigkeit, mit dem er seine Position als Clanchef bestätigte. Wer eine solche Waffe besaß, war quasi unschlagbar. Für Warren war nichts mehr wie zuvor. Er wusste jetzt, welche Macht Worte hatten, wie man mit ihnen andere in eine Falle locken konnte. So schnell wie möglich wollte er die Kunst erlernen, die Welt in ein, zwei kurzen Sätzen zusammenzufassen. So konnte er sie bestimmt auch besser verstehen.
Jahre später half ihm diese Kunst, das Trauma seines Exildaseins zu überwinden. Die Ironie war wie ein Bollwerk für ihn, das ihm Schutz gewährte. Und so konnte er auch im Herzen ein echter New Yorker bleiben.
Zusammengesunken lag er nach wie vor auf der Bank, den Notizblock in der Hand. Vielleicht war das Wortspiel mit good enough ein bisschen bemüht, aber als sein Beitrag für diese idiotische Schülerzeitung reichte es allemal. Die Lehrer würden ihm zu seinem Sprachwitz gratulieren, und natürlich würde er behaupten, das alles sei auf seinem Mist gewachsen. Wer konnte schon das Gegenteil beweisen?
*
Fred ging die Avre flussaufwärts, bei jedem Schritt versuchte er, den Matsch, der sich knöchelhoch an seinen Stiefeln festsetzte, abzuschütteln. Vom anderen Ufer winkte ihm ein Fliegenfischer zu. Der stand in seinem grünen Ölzeug da, starr wie ein Pflock. Fred reagierte nicht, er ging einfach weiter, dornige Sträucherzweige streiften ab und zu sein Gesicht; er legte eine Hand auf sein Herz, er war ziemlich außer Atem, monatelang hatte er nur auf seiner Veranda gesessen. Unter dem Vorwand, auch er müsse einmal ausgiebig frische Luft schnappen, hatte Di Cicco ihm schlussendlich die Erlaubnis für einen Waldspaziergang erteilt. Der G-Man, wie man in Freds Kreisen einen FBI -Agenten als Abkürzung für Government Man nannte, hatte mit höhnischem Lächeln beobachtet, wie Fred in seine Gummistiefel und seinen Parka schlüpfte, um zum allerersten Mal die normannische Natur zu erkunden. Die Aussicht auf einen Waldspaziergang weckte in Fred keineswegs Vorfreude. In Newark endeten seine Ausflüge in die Natur meistens vor einer Grube von zwei Metern Länge und drei Metern Tiefe. Sehr oft fehlten dem blutüberströmten Typen, den man in dieses Loch werfen wollte, die Kräfte, um sein Grab selbst zu graben. Mit Schaufel und Spitzhacke machten sich Giovanni und sein Gehilfe dann stets ans Werk. Sie plauderten, um ihren verdammten Job zu vergessen, und träumten von einem Bourbon in einem Klub voller Mädchen.
Dichter werdendes Gestrüpp zwang ihn, das Ufer zu verlassen. Er schlug den Weg über ein Weizenfeld ein und fluchte unablässig vor sich hin. Die wilden Früchte des Großstadtdschungels zu ernten, das hatte man ihn von Kind an gelehrt, aber Demut und Geduld gegenüber der Natur, das kannte er nicht. Er hatte immer geerntet, ohne vorher säen zu müssen, und Milch getrunken, ohne melken zu müssen. Aus Angst, sich zu verlaufen, nahm er die Straße, und nach gut einem Kilometer stand er vor dem Schild, das er gesucht hatte: CARTEIX FRANCE , BETRIEB CHOLONG , MITARBEITER EINGANG .
Das Schild war neu, nicht sonderlich groß und schon verschmutzt. Zwei geteerte Wege führten zu den beiden Parkplätzen, einer war für
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