Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
ging, auf einen Block. Es war der 3. Juni, ein Hauch von Freiheit durchwehte bereits die Klassenzimmer; die Jüngsten hingen auf dem Pausenhof herum, während die Älteren zu Hause blieben und den Prüfungsstoff durchgingen. Einige ließen sich auf dem Rasen nieder und spielten Pärchen, andere nahmen die Sportplätze in Beschlag, wo sie wilde Fußball- und Tennisturniere austrugen. Aber die fleißigsten und strebsamsten Schüler kümmerten sich – so wollte es die Tradition – um das Fest zum Schuljahresende.
Seit Menschengedenken feierte man in Cholong-sur-Avre den Johannistag. Dazu gehörte auch eine richtige Kirmes, die am Wochenende um den 24. Juni herum auf dem Place de la Libération stattfand. Die Schule nutzte diese Gelegenheit, um die Eltern zu einem Fest einzuladen, das von ihren Kindern bestritten wurde. Niemand wollte dieses Spektakel versäumen. Als Erstes sang der Schulchor, dann führte die Theater-AG einen Sketch auf, und zum Abschluss wurde seit einigen Jahren ein Videofilm der Oberstufe vorgeführt. Diejenigen aber, die weder auf die Bühne noch vor die Kamera treten mochten, aber trotzdem das Wort ergreifen wollten, arbeiteten an der inzwischen berühmten Gazette de Jules-Vallès mit, der Schülerzeitung des Lycée. Hier wurden die besten Aufsätze des Jahres abgedruckt, manch einer versuchte sich als Journalist, es gab Bilderrätsel und Denkspiele, die sich Schüler ausgedacht hatten, und zwei Comicstrips, an die der Zeichenlehrer noch einmal letzte Hand anlegte. Wer bisher glaubte, kein Talent zu haben, wurde hier oft vom Gegenteil überzeugt – und so hoffte man, auch Warren noch zur Mitarbeit zu bewegen.
»Schreib uns was auf Englisch. Was Lustiges, das aber alle verstehen. Oder vielleicht ein kleines Wortspiel. Mach ganz einfach, was dir einfällt.«
Ein kleines Wortspiel … Als ob die Kids von Cholong den Humor von New Jersey kapieren könnten! Der war selbst für Englischlehrer mit Diplom und Auszeichnung zu hoch. Diese Mischung aus Spott und Zynismus konnte nur durch eine gewisse Ausweglosigkeit, wie sie in den Städten der East Coast zu Hause war, gedeihen. Wenn man dir die Fresse poliert, kann dich ein spezieller Humor retten. Viele Ausgestoßene besaßen nichts außer ihrem Humor, er war das letzte Zeichen ihrer Würde. Mit einem guten Konter konnte man in Newark verhindern, dass einem ein Messer zwischen die Rippen gerammt wurde. Und wenn es trotzdem geschah, half dir der Humor, es zu vergessen. Diesen Witz lernte man nicht in Büchern, vielmehr bedienten sich die Bücher bei ihm. Eine Dosis Ironie, ein bisschen Übertreibung, eine Spur Aberwitz und Understatement – und schon war der Joke perfekt. Aber um solche Witze reißen zu können, musst du gehungert und im Rinnstein gelegen haben. Die Angst muss schon in deinem Gesicht gestanden und so mancher Schlag dich getroffen haben. Ein schlechter Konter konnte dich das Leben kosten, wie eine Kugel, die ihr Ziel verfehlt. Wie anders war doch das Leben in Cholong!
Warren lag noch immer auf der Bank, ihm fiel nichts ein. Also grub er in seinen Erinnerungen. Er war wieder in Newark, im Haus eines Onkels oder einer Tante. Das Haus war voller Gäste, aber man kam sich trotz des freundlichen Empfangs irgendwie fehl am Platz vor.
Zweifellos wurde etwas Schönes gefeiert, eine Hochzeit. Seine Cousins und Cousinen steckten in entzückenden kleinen Anzügen und Kleidchen. Doch mit ihnen wollte Warren nichts zu tun haben, er suchte die Gesellschaft der Erwachsenen, vor allem die der Freunde seines Vaters, den er so bewunderte. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was die so trieben. Aber ihre kräftige Statur, ihr stolzes Auftreten beeindruckten ihn. Sie lachten die ganze Zeit oder machten sich über andere lustig, wie große Jungs, denn das waren sie. Warren glaubte, schon dazuzugehören. Um sie zu belauschen, vielleicht eines ihrer Geheimnisse aufzuschnappen, näherte er sich ihnen unauffällig, versteckte sich hinter den Möbeln und schlich sich seitlich heran. Ein komischer Kerl – älter und dünner als die anderen – versammelte alle um sich. Er hatte weißes Haar und trug einen kleinen Hut. Dieses Hütchen machte ihn netter, als er in Wirklichkeit war. Als sein Vater ihn mit gesenkter Stimme ansprach, wusste Warren sofort: Der war sehr wichtig. Das war er also, dieser Don Mimino, von dem selbst die Oberbosse nur mit Respekt sprachen. Sollte er vor diesem Mann Angst haben oder ihn bewundern? Warren spitzte die Ohren. Die Männer
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