Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
Energie besaß, war nicht auf der Suche nach einem Prügelknaben, sondern nach unabdingbaren Fakten. Danach würde ihm schon das Passende einfallen. Selbst den verantwortungsbewussten Bürger war er bereit zu spielen. Für einen menschlichen Fehler oder ein technisches Problem, mit dem kein Spezialist hatte rechnen können, würde er Verständnis zeigen. Interessierte Fred sich plötzlich für Umweltverschmutzung, den bedenklichen Zustand der Welt und den bösen Kapitalismus? Der Zweck bestimmte von jeher die Mittel, und am Ende ging es von jeher und auch in alle Zukunft immer nur um eines: um Geld. Nach dieser Maxime lebte Fred schon zu lange, um sie jetzt noch infrage zu stellen. Er hatte nicht vor, seine Nase in die Angelegenheiten fremder Leute zu stecken, die Zeiten waren lange vorbei. Er wollte nur Klarheit, in einer Sache: Hatte Carteix etwas mit dem verdreckten Wasser zu tun, das aus seinem Wasserhahn kam? Bisher war es nur ein Gerücht, jetzt musste ein Beweis her.
Als Erstes sah er sich auf dem Fabrikgelände um. In der Fabrik selbst schien niemand zu sein, obwohl es mitten in der Woche war. Er ging den Zaun entlang, der den Lieferantenparkplatz umgab, auf dem ein Berg Paletten stand, mehrere Meter hoch. Er betrat einen Schuppen ohne Dach, in dem sich Fässer und blaue, rote und grüne Tonnen aus Metall stapelten. Sie trugen Logos von verschiedenen Öl- und Benzinfirmen. Am nördlichen Ende der Fabrik standen Karren, die mit großen, in Plastik gehüllten Ballen beladen waren. Wahrscheinlich Ware, die darauf wartete, ausgeliefert zu werden. Ein bisschen weiter oben, auf der Rückseite des Hauptgebäudes, standen drei riesige Metallcontainer, die Fred an Getreidesilos erinnerten. Deren Inhalt floss direkt ins Innere der Fabrik. Fred beendete seine Runde vor dem Zaun zum Mitarbeiterparkplatz, auf dem kein einziger Wagen stand.
Hier schien sein Feldzug auch zu enden.
Ohne ein Wort, ohne mit jemandem diskutiert oder verhandelt zu haben, ohne jemanden überzeugt oder umgestimmt zu haben. Ohne zu erfahren, was in diesen Metalltonnen war und wozu sie eigentlich dienten. Ohne eine Menschenseele gesehen zu haben, einen Angestellten vielleicht, der ihn zu seinem Vorgesetzten und der wiederum zum Firmenchef gebracht hätte. Fred hätte zu gerne mit der Firmenleitung gesprochen.
Enttäuschung machte sich breit, er setzte sich auf den Schotter, den Rücken an den Pfosten der Metallschranke gelehnt. So saß er eine Weile da, mit gekreuzten Armen, und wurde nachdenklich. Man hatte ihm den Gegner vorenthalten und so seinen Schlachtplan hintertrieben. Eines hatte ihn sein Gangsterleben gelehrt: Hinter allem, egal, wie schrecklich oder wunderbar es war, steckten Menschen. Menschen, die einem vielleicht einmal über den Weg liefen, Menschen, deren Namen jeder kannte, Menschen ohne Maske, die unverwundbar schienen, aber trotzdem Fehler machten, weil sie Menschen waren.
Carteix in Cholong war eine von vielen Niederlassungen, die einer Firmengruppe in Paris gehörten. Diese Gruppe selbst war nur eine von mehreren Unterabteilungen, die zu einem Firmenkonglomerat gehörten, das sich wiederum in verschiedene Sektoren aufteilte, die mit mehreren Holdings verbunden waren, die wiederum Partnerschaften untereinander unterhielten, die von außen schwer zu durchschauen waren. Eine weitverzweigte Wirtschaftsmacht mit guten Beziehungen zu diversen Regierungen, deren Verwaltungsrat wahrscheinlich noch nie etwas von der Existenz eines unbedeutenden Unternehmens namens Carteix gehört hatte. Carteix könnte von einem auf den anderen Tag verhökert werden, sei es, weil die Märkte es verlangten, Geld gewaschen werden musste oder ein Anlagenschwund zu verzeichnen war. Und diese Entscheidung wurde vermutlich in einem Land gefällt, in dem man noch nie etwas von der normannischen Heckenlandschaft gehört hatte.
Da hatte Fred den Beweis: Die Welt, in der er jetzt leben musste, die Welt der Gesetze und der Moral, war übersät mit Fallen, aufgestellt von Feinden, die gesichtslos blieben. Gegen die kämpfen zu wollen hatte etwas Lächerliches.
Und solange sich niemand aus diesem riesigen Kasten aus Wellblech, den man mitten in einen Wald hingepflanzt hatte, zeigte, solange es keine Möglichkeit gab, den Big Boss persönlich zwischen die Finger zu kriegen, so lange blieb Fred fremder Willkür ausgeliefert. Und es gab nichts, was er mehr fürchtete.
So saß er auf der Erde und empfand sich als kleines, hilfloses menschliches Wesen. Das war nun
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