Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
trank er dort einen starken Espresso. Schon seit seinem achten Lebensjahr trank er täglich einen Espresso, damals machte ihn seine Mutter für ihn, bevor er in die Schule ging. Ein Butterbrot oder irgendetwas zu essen dazu gab es nicht. Der Junge goss seinen Espresso in sich hinein und ging. Manchmal im Winter, wenn es sehr kalt war, gab sie einen Schuss Marsala zum Aufwärmen hinzu. Das sind die Dinge, die einen zum Vollstrecker machen, das war von jeher meine Meinung. Kleinigkeiten sind entscheidend.«
*
Trotz ihrer Müdigkeit konnte Maggie nicht schlafen. Sie griff zum Telefon und schlug den G-Men einen abendlichen Besuch vor. Die beiden freuten sich über diese unerwartete Abwechslung. Di Cicco holte drei Gläser für den Grappa, den Maggie mitgebracht hatte. Sie ging zum Fernglas und richtete es auf die Wohnungen, in denen noch Licht brannte. Mehrmals die Woche beobachtete sie unter dem faszinierten Blick der FBI -Agenten heimlich ihre Nachbarn. Dahinter steckten kein kranker Voyeurismus und keine böse Absicht. Ihr Wohnviertel war zu ihrem Labor geworden, in dem sie das, was ein Mensch war, erforschen wollte. Wenn auch für Fred seine Mitmenschen nichts als eine graue, undifferenzierte Masse waren, so wollte Maggie doch nicht glauben, dass das Leben ihrer Nachbarn nur aus Banalitäten bestand.
»Was amüsiert dich an der Sache, Maggie?«
»Nichts amüsiert mich. Aber alles interessiert mich. Als ich jung war, habe ich mir einen Spaß daraus gemacht, Menschen in Gruppen einzuteilen, ein Wort, ein Begriff musste genügen. Heute hilft mir die Vorstellung, dass jeder verschieden ist, die Welt zu verstehen.«
Sie richtete das Fernglas auf das kleine dreistöckige Haus Nummer fünfzehn, in dem vier Familien und zwei Singles wohnten.
»Die Pradels sitzen vor dem Fernseher.«
»Sie leidet unter Schlaflosigkeit. Manchmal sitzt sie bis vier oder fünf vor der Kiste«, sagte Caputo und schlürfte seinen Grappa.
»Ich frage mich, ob er eine Geliebte hat«, sagte Maggie.
»Wie hast du das erraten?«
»So etwas spürt man.«
»Sie heißt Christine Laforgue, ist einunddreißig Jahre alt und Arzthelferin.«
»Weiß seine Frau Bescheid?«
»Sie hat nicht die geringste Ahnung. Gestern Abend waren Christine Laforgue und ihr Mann sogar zum Abendessen bei ihnen.«
»Was für ein Mistkerl!«
Diesen Schrei der Empörung hatte Maggie nur schon zu oft ausgestoßen, damals als Giovanni und seine Kumpel ihre außerehelichen Liebesverhältnisse kurzerhand für »offiziell« erklärten und mit ihren Geliebten an ausgesuchten Plätzen so lange umherstolzierten, bis auch die Ehefrauen große Lust verspürten, diese Damen persönlich kennenzulernen – zumeist um ihnen die Augen auszukratzen. Seitdem stand Ehebruch bei Maggie ganz oben auf der Liste der Vergehen.
In der Wohnung ganz oben brannte kein Licht.
»Ist Patrick Roux heute Abend ausgegangen?«
»Nein, der hat gestern seine Tour de France gestartet«, antwortete Di Cicco.
Wie eine Insektenforscherin beobachtete Maggie Entwicklung und soziale Kontakte ihrer »Objekte«. Sehr selten griff sie persönlich ein. Dann wollte sie bestimmte Vorgänge in deren Leben beschleunigen.
Patrick Roux war einundfünfzig Jahre alt, geschieden und arbeitete in der Verwaltung einer Privatschule. Er hatte sich für ein Sabbatical entschieden, um seinen großen Traum endlich wahr werden zu lassen: das ganze Land mit seinem wunderbaren 900-Kubik-Motorrad zu bereisen. Maggie hatte ihn überredet, auf seine Tour einen Organspendeausweis mitzunehmen. Sie wusste, dass Motorradfahrer als Organspender sehr begehrt waren. Roux selbst glaubte, dass ihm der Ausweis Glück brachte. Die Vorstellung, dass sein Herz im Körper eines anderen Menschen schlagen könnte, bereitete ihm aber auch kein Unbehagen.
»Ich habe da etwas, Maggie, was dich interessieren dürfte«, sagte Caputo. »Es geht um die kleine alte Dame von Nummer elf, für die jedermann die Hand ins Feuer legen würde. Du weißt, die mit Tochter und Schwiegersohn zusammenlebt. Stell dir vor, 1971 hat sie den Hund eines alten Mannes aus der Nachbarschaft vergiftet. Der ist über den Verlust nicht hinweggekommen und dem Tier kurz darauf ins Jenseits gefolgt. Eigentlich ein perfektes Verbrechen.«
»Und niemand hat davon etwas mitgekriegt?«
»Gestern hat sie es einer Freundin am Telefon erzählt. Sicher will sie reinen Tisch machen, bevor sie vor ihren Schöpfer tritt.«
Gott … Wo steckte er? Maggie hatte das Gefühl, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher