Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
hat auch die beiden Entführer geschnappt. Er hat sich mit ihnen in seinem Keller eingeschlossen. Ohne eine Waffe, nur mit seinen bloßen Händen. Ihr könnt das glauben oder nicht. Nur mit seinen bloßen Händen! Was genau passiert ist, weiß niemand. Jedenfalls waren die Schreie, die aus Willys Keller kamen, so unerträglich, dass sein Nachbar die Flucht ergreifen musste.«
Fünfzig Menschen hingen an Freds Lippen. Alle waren sie sprachlos, niemand wagte sich zu bewegen. An eine Diskussion dachte keiner mehr. Da war eine Stimme, der man zuhören musste.
Ein Zuschauer schlich sich aus dem Saal, um seine Frau anzurufen. Die war ungefähr hundert Meter von hier bei der monatlichen Versammlung der militanten Grünen. Er berichtete ihr, dass im Filmklub etwas geboten würde, was man auf keinen Fall versäumen dürfe. Die Frau sah auf ihre Uhr und schlug der Versammlung vor, gemeinsam zum Gemeindesaal aufzubrechen.
*
Maggie wollte nicht mehr durchs Fernglas schauen. Sie setzte sich jetzt Kopfhörer auf und hörte begeistert den Gesprächen ihrer Nachbarn zu. Gerade hatte sie erfahren, dass Monsieur Dumont, der Motorradmechaniker, seit mehr als zehn Jahren ohne ersichtlichen Grund Chinesisch lernte. Außerdem war seine Frau gar nicht seine Frau, sondern seine Cousine. Die alleinstehende Mutter von Nummer achtzehn fuhr einmal im Monat nach Rouen, um Flauberts Grab mit Blumen zu schmücken. Der Französischlehrer lebte ganz schön über seine Verhältnisse, er gewann ja auch im Hinterzimmer des einzigen Nachtklubs in der Gegend ein Vermögen beim Tarockspielen. Madame Volkovitch schummelte die Behörden an, in Wahrheit war sie zehn Jahre älter. Und Myriam von Nummer vierzehn widmete ihre ganze Freizeit der Suche nach ihrem wirklichen Vater, damit der, wie sie sich ausdrückte, endlich das Bekenntnis seiner Vaterschaft ausspuckte.
Bei jeder dieser Abhöraktionen erfuhr Maggie ein bisschen mehr über die menschliche Natur, über das, was die Menschen antrieb, und über das, was ihnen Angst machte. Keine Zeitung, kein Buch hätten das so gekonnt.
»Das ist der junge Informatiker, der diese Anzeigen im Clairon de Cholong schaltet«, sagte sie und nahm die Kopfhörer ab.
PC XT mit 14-Zoll-Bildschirm und Tintenstrahldrucker in gutem Zustand zu verschenken. Ein veraltetes Gerät, mit dem secondhand nichts mehr zu verdienen war, das aber jemanden, der wirklich arm war, glücklich machen konnte. Diese kleinen Gefälligkeiten, diese kleinen Aufmerksamkeiten den Mitmenschen gegenüber begeisterten Maggie besonders. Sicher waren die großen humanitären Ziele Maggies Leitbild, doch mehr noch konnte sie von den kleinen unauffälligen Gesten lernen, hinter denen sich oft mehr Menschlichkeit verbarg als hinter den großen Solidaritätsbekundungen. Und sie konnten die überraschendsten Formen annehmen. Maurice, ihr Nachbar und Besitzer des Poterne, des anderen großen Cafés von Cholong, war bei seinem Urlaub in Neapel einem sehr alten Brauch begegnet, der in einigen Cafés dort noch praktiziert wurde. Nicht selten kramte ein Gast sein gesamtes Kleingeld zusammen, um zwei Kaffee zahlen zu können, obwohl er nur einen getrunken hatte. Der Kellner notierte diesen bezahlten, aber noch nicht getrunkenen Kaffee auf einer Tafel. Kam ein Bettler vorbei, bekam er diesen Kaffee spendiert. Maurice, der eigentlich kein besonders großzügiger Mensch war und auch kein Auge für die Armut um ihn herum hatte, war dennoch angetan von diesem Brauch und importierte ihn. Es hatte ihn dann selbst überrascht, wie viele seiner Gäste bereit waren, bei diesem Spiel mitzuspielen. Für Maggie war Maurice so zu einem ihrer Alltagshelden geworden. Hatte er doch einen Brauch eingeführt, der vollkommen quer zum Zeitgeist stand und dem kaum jemand irgendeine Chance gegeben hätte, sich durchzusetzen.
*
Quint sann auf Rache. Der Mann, der sich unter seinen Augen mit der Gewandtheit eines Hochschullehrers produzierte, würde für seine Zirkusnummer teuer bezahlen. Tom vergaß manchmal, wie erschreckend dumm Gangster sein konnten und wie oft ihre Neigung zur Angeberei sie ins Verderben stürzte.
»Ob man sie auf der Straße sieht? Ist es das, was Sie wissen wollen? Schon mal was von Brownsville gehört? Das war quasi das West Point für die Gesetzlosen. Wer hier gelernt hatte, konnte es bis ganz nach ganz oben schaffen. In den goldenen Zeiten konnte einem in diesem kleinen Viertel von vielleicht zehn Quadratkilometern im Osten von New York ein Capone, ein
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