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Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)

Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)

Titel: Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tonino Benacquista
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wurde, suchte sie auch keine mehr. Keine Sekunde hatte sie diese Entscheidung bereut; als Mutter auf ihre Karriere zu verzichten war für sie kein Opfer. Sandrine hatte in dem großen Haus ihr neues Glück gefunden, es hätte den vieren für alle Zeiten Schutz gewähren können.
    Bis ein findiger französischer Ingenieur von der Firma ihres Mannes sich eine raffinierte Methode ausdachte, mit der sich die Herstellung eines Reißverschlusses um zwanzig bis dreißig Sekunden verkürzte. Wenn man das auf Arbeitskraft und Arbeitstage umrechnete, konnte man bei der industriellen Fertigung eine Menge Zeit und damit Geld sparen.
    Die meisten Länder in Asien hatten das Patent bereits gekauft, und so erhielt der brillante Verkäufer Philippe Massart die Aufgabe, überall in der Welt neue Kunden zu akquirieren. Da er nicht delegieren konnte, hatte er es sich angewöhnt, bei jedem Vertragsabschluss persönlich bis zum Ende dabei zu sein. Derzeit verreiste er drei- bis viermal im Monat, drei volle Tage blieb er an einem Ort, manchmal auch mehr, wenn sich dadurch drei Reiseziele mit weniger als drei Flügen kombinieren ließen. Mehr noch als unter seiner Abwesenheit aber litt Sandrine an den Folgen seines Jetlags, der sich meist erst beruhigte, wenn er zur nächsten Reise aufbrach.
    Heute Morgen flog er nach Bangkok. Es ging um die Unterzeichnung eines Abkommens, das es seiner Firma erlaubte, direkt beim Hersteller in Asien zu investieren, was den Weg in neue Branchen öffnen konnte. Eine lang verfolgte Strategie hatte zum Erfolg geführt, Philippe würde auf der Hierarchieleiter einen Schritt nach oben klettern, ohne die Gefahr, bald wieder hinunterzupurzeln. Da machten die Reisevorbereitungen erst richtig Spaß. Kein Wunder, dass Sandrine eine stille Resignation ergriff, die das traurige Ende ihrer Beziehung ankündigte.
    »Schatz, hast du meinen Reiseführer gesehen? Ich meine, den neuen.«
    Er hatte ihn gestern Abend im Bett von vorne bis hinten durchgearbeitet, weil er nicht einschlafen konnte. Die Vorfreude. Die Zeiten der Reiseführer für Rucksacktouristen waren lange vorbei, heutzutage studierte er den Michelin mit seinen Luxushotels und paradiesischen Stränden. Bei seiner letzten Reise hatte er einen solchen erprobt und sich geschworen, so bald wie möglich wiederzukommen.
    »Bis Dienstag, mein Schatz. Falls sich was ändert, rufe ich an.«
    Jetzt musste er nur noch sein graues Flanellsakko überziehen, das Ticket in die Innentasche stecken und seiner Frau einen Abschiedskuss geben.
    »Was meinst du mit ›Falls sich was ändert‹?«
    »Perseil hat angedeutet, dass vielleicht ein Flug von Bangkok nach Chiang Mai und wieder zurück keine schlechte Idee wäre. Dort gibt es Probleme mit den Lieferfirmen. Ich rufe dich auf jeden Fall an.«
    Mit einer Geste, die noch als herzlich durchging, richtete sie ihrem Mann den Kragen. Zum ersten Mal lächelte sie an diesem Morgen. Im Türrahmen gab er ihr einen Kuss und ging zu dem Taxi, das auf ihn wartete.
    »Schatz, fast hätte ich’s vergessen!«, rief sie und zog ein Heftchen aus der Tasche ihres Morgenrocks. »Alex hat dieses Jahr etwas für die Schülerzeitung geschrieben. Ein Gedicht, das aus vielen anderen ausgewählt wurde. Es würde ihn freuen, wenn du es liest. Wenn dich im Flugzeug die Langeweile überfällt …«
    Überrascht steckte er die Gazette de Jules-Vallès in seine Aktentasche, ohne genau zu wissen, was er damit anfangen sollte.
    *
    Sein Flugzeug hob pünktlich ab, das Wetter war gut, die Businessclass fast leer und die Stewardess zum Anbeißen. Sich während des Fluges langweilen? Wenn Sandrine wüsste … Oder zumindest etwas ahnte … Nein, besser, sie ahnte nichts. Späte Offenbarungen schmerzten oft am meisten. Philippe Massart hatte es mit seinen vierundvierzig Jahren endlich begriffen: Er war für diese Art von Leben geboren. Fliegen, immer auf der Durchreise sein, die Geschäfte, die Dolmetscher, fließend Englisch sprechen, die Kurzaufenthalte im Hilton, die Länder, die man nur überflog, das teure Essen, das man kaum anrührte. Das Einzige, was zählte, waren die Geschwindigkeit, die Entfernungen, die man überwand, und das Verschwimmen jeglichen Zeitgefühls. Ein Koffer, der offen auf einem Bett im Sheraton von Sydney lag – für Philippe Massart gab es nichts Schöneres. Er empfand ohnehin alles als schön in seinem neuen Leben, angefangen mit den Handbewegungen, die eine Reise begleiteten. Und davon gab es viele; die der Reisevorbereitungen

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