Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
waren dabei nur ein Vorspiel. Jede Geste hatte ihre bestimmte Zeit – und die Zeit verging ja wie im Flug. Zur Mittagszeit studierte er mit einem Glas Champagner in der Hand die Speisekarte. Was sollte er bestellen? Lammkarree oder Filet vom Kabeljau? Er drückte die Stirn gegen das Seitenfenster und kostete so lange wie möglich diese herrliche Unentschlossenheit aus. Dann blätterte er durch das Air France Magazin – die Stewardess ließ auf sich warten – und blieb bei dem Foto einer indischen Schönheit in Landestracht hängen. In dem Artikel ging es um die Textilindustrie in Madras. Philippe sah plötzlich Sandrine in ihrem Morgenrock vor sich. Er liebte sie, das stand außer Frage. In vierzehn Jahren Ehe hatten sie so viel erlebt, so viel gemeinsam durchgestanden. Ja, ich liebe sie . Er klammerte sich einen Augenblick an diese Gewissheit und suchte nach Beweisen. Er liebte sie. Daran war nicht zu rütteln. Warum sollte er an der Liebe zu seiner Frau zweifeln? Und wie kann man überhaupt an einer Liebe zweifeln? Gab es Anzeichen? Falls ja, konnte man ihnen trauen? An jeder Beziehung nagte der Zahn der Zeit. Nach vierzehn Jahren äußerte sich die Liebe eben anders. Erektionen, wenn sie einen BH anzog, Kussattacken ohne ersichtlichen Grund, innige oder gar indiskrete Umarmungen in der Öffentlichkeit – all das gab es nicht mehr. Aber es hatte es einmal gegeben. Heute war so etwas nicht mehr wichtig. Ja, er liebte sie noch immer, aber anders. Trotz der Jahre, die vergangen waren, liebte er nach wie vor ihre Figur, ja sie rührte geradezu sein Herz. Er liebte Sandrine, Ende der Debatte. Ich liebe meine Frau . Die Frage war absurd. Er liebte sie, niemand durfte daran zweifeln. Er liebte sie, selbst wenn die Begierde zu wünschen übrig ließ. Selbst wenn er ab und zu an andere Frauen dachte. Aber nur dachte, er hatte Sandrine nie betrogen. Gut, im Ausland schon, aber das zählte nicht. Er liebte sie. Dieser Satz bedeutet doch selbst in unserer Zeit noch etwas. Oder? Er liebte sie, das Problem war ein anderes. Es war paradox, aber irgendwie konnte er ihre Präsenz in seinem Leben nicht mehr spüren. Obwohl er es war, der für das Wohl seiner Firma den Globus bereiste, hatte er das Gefühl, dass Sandrine nicht mehr an seiner Seite war. Seit er mit seiner Karriere durchgestartet war, sah sie seinem Treiben aus der Ferne zu, spielte dabei aber immer weniger die Rolle der Partnerin, die zu Hause die Dinge im Griff hatte und ihm den Rücken freihielt. Ein winning team waren sie nicht mehr. Außerdem schien sich Sandrine mehr Sorgen um die Zukunft von Alex und Timothée zu machen als um seine. Wenn man immer weniger zu Hause ist, wird man mit der Zeit vielleicht vergessen. Das ist zwar unerhört, aber vielleicht war es die simpelste Erklärung. Und dabei arbeitete er ohne Unterlass für das Wohl seiner Familie. Mit den letzten Löffeln seiner Birnenmousse reifte in ihm eine Erkenntnis: Die, die man an die Front schickt, sind verdammt zur Einsamkeit.
»Wie wär’s mit einem Schlückchen Alkohol, Monsieur Massart?«
Die Stewardess kannte Philippe von einem früheren Flug und sie erinnerte sich, ihm zwei Gläser Birnenschnaps kurz vor Singapur serviert zu haben. Er hatte keine Angst vor der Landung, vielmehr gab ihm der Alkohol den letzten Kick für seine Mission, so fand er den richtigen Rhythmus. Für Bangkok gab es bereits ein straffes Timing. Ein Taxi würde ihn vom Flughafen zu seinem Hotel, dem Grace an der Sukhumvit Road, bringen. Dort würde er ausgiebig lauwarm duschen, frische Kleider anziehen und auf der Barterrasse einen Martini Dry einnehmen. Im Innenhof, der im Rokokostil gehalten war und in dem die Ventilatoren surrten, würde er auf Perseil und den Generaldirektor der FNU Thailand Limited warten, dessen Namen er sich nicht merken konnte. Danach würden sie zu dritt im Bambus-Pavillon des Krua Thai Lao laotisches Huhn mit unaussprechlichen Gewürzen essen und dabei die laufenden Geschäfte besprechen, die aktuellen Zahlen durchgehen und überlegen, wie man den Kapitalgewinn noch steigern könnte. Als Belohnung gab es danach in einer Bar in Patpong ein paar traditionelle Drinks. Aber nicht zu viele, am nächsten Morgen mussten sie wieder fit sein. Philippe nippte an seinem Birnenschnaps, sein Blick verlor sich im dunklen Himmel des Königreichs Siam. Dazu stellte er sich den weiteren Verlauf seiner Reise wie einen Film vor: ein Film, der um einiges spannender war als der, den man im Flugzeug gerade
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