Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
mich mit dem Taoismus und seiner Lehre vom langen Leben beschäftigt. Danach habe ich natürlich Tai-Chi gemacht. Manche alten Meister sollen neunhundert oder tausend Jahre gelebt haben. Das behauptet die Legende.«
»Ich habe schon als junger Mann jede körperliche Aktivität vermieden.«
»Das wird schon wieder, Don Mimino. Nicht sofort, aber mit der Zeit.«
»Wir werden sehen. Erst einmal werde ich mich mit der klassischen Medizin, Fachgebiet Rheumatologie, beschäftigen müssen. Mein Rücken bringt mich noch um.«
Es klopfte. Im Gegensatz zu allen anderen Zellen waren die Zellen der Langzeitabteilung nur durch eine Tür vom Gang getrennt. Gitter gab es nur an den Fenstern. »Chief« Morales, der Chefwärter des Westflügels, kam mit einem Paket in der Hand herein.
»Das ist das Paket von meinem Neffen, dem kleinen Mistkerl«, sagte Erwan und schnitt mit einem Messer die Verpackung auf. »Chief, du trinkst doch einen kleinen Schluck mit uns?«
»Keine Zeit. Im Block B gibt’s Stunk.«
Um seiner Aufsichtspflicht zu genügen, warf der Wärter einen Blick ins Paket, nahm kurz eine Flasche in die Hand und ging dann wieder. Obwohl Morales noch jung war, mochten ihn die Gefangenen. Er konnte schwierige Situationen richtig einschätzen und suchte immer nach Lösungen.
»Wir werden ihn vermissen, wenn er in Rente geht«, sagte Don Mimino.
Erwan öffnete eine Flasche und schnupperte daran. Das Kaffeearoma war noch nicht verflogen.
»Ein Kerl aus Mailand hat mich während seiner Zeit hier auf das Zeug aufmerksam gemacht. Das war in den Siebzigern. Es ist nicht so cremig wie Irish Coffee und nicht so widerlich süß. Und unter uns, irischen Whisky mochte ich noch nie.«
Don Mimino führte das Gläschen, das sein Gastgeber ihm angeboten hatte, zum Mund.
» Buono .«
Erwan packte die anderen fünf Flaschen aus, stellte sie in seinen Schrank und legte das Packpapier auf einen kleinen Haufen, um es in den Abfalleimer zu werfen. Da fiel sein Blick auf die Gazette de Jules-Vallès .
»Das ist doch Französisch, Don?«
Der alte Italiener setzte die Brille auf und inspizierte das Titelblatt.
»Ich denke schon.«
»Ich war nie gut in Sprachen. Aber Französisch könnte mir vielleicht Spaß machen. Ich werde mal darüber nachdenken.«
»Eine Menge unregelmäßiger Verben. Sagt man.«
»Und wenn wir zusammen lernen, Don Mimino? Das ist doch die Idee! In vier Jahren beherrschen wir die Sprache fließend, und dann sprechen wir nur noch Französisch, wenn wir unseren Verdauungsschnaps einnehmen. Das kann lustig werden.«
»Ihr Iren spinnt doch alle.«
Sie stießen an und leerten ihr Glas in einem Zug. Don Mimino nahm die Gazette de Jules-Vallès mit in seine Zelle, er wollte in Ruhe einen Blick hineinwerfen. Französisch zu lernen reizte ihn aus einem einzigen Grund: Er könnte sich die Filmklassiker, die auf dem Spielfilmsender liefen, ansehen, ohne Untertitel lesen zu müssen. Er mochte vor allem die französischen Polizeifilme aus den Fünfzigerjahren. Sie waren seiner Meinung nach viel realistischer als die amerikanischen aus der gleichen Zeit. Komischerweise fühlte er sich Jean Gabin auch näher als George Raft.
Den Nachmittag verbrachte er damit, den Konjunktiv der Hilfsverben essere und avere auswendig zu lernen. Dann aß er allein in der Zelle zu Abend und schlief vor einer italienischen Fernsehshow auf RAI DUE ein, den man über Satellit empfangen konnte. Mitten in der Nacht wachte er auf. Litt er inzwischen an Schlafstörungen? Mechanisch griff er nach der Gazette de Jules-Vallès. Mein Gott, Französisch war wirklich eine schwierige Sprache. Chinesische Schriftzeichen auswendig zu lernen erschien ihm dagegen ein Leichtes zu sein. Vielleicht sah es in fünfzig, sechzig Jahren anders aus, wer weiß? Bevor Don Mimino es wieder mit dem Schlafen versuchte, entdeckten seine müden Augen plötzlich eine Textzeile, die in einer vertrauteren Sprache verfasst war.
Boris Godunow? If it’s good enough for you, it’s good enough for me!
Er setzte sich im Bett auf, seine alten Knochen krachten. Der Artikel stammte von einem gewissen Warren Blake.
If it’s good enough for you …
Dieses Wortspiel stammte von ihm, Maurizio Gallone, in über vierzig Staaten bekannt als Don Mimino.
… it’s good enough for me!
Die paar Male, an denen er dem Sohn des Schweinehunds Manzoni begegnet war, hatte ihn der Kleine jedes Mal an dieses good enough erinnert. Es war zu einem Ritual zwischen beiden geworden. Sonst hatten sie
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