Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
über ihn schreiben.
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Wenn Schönheit im Verborgenen bleiben musste … Belle konnte sich kein größeres Unglück vorstellen als das ihre. Warum durfte man einen Stern daran hindern zu leuchten? Wie ihn nicht am nächtlichen Himmel platzieren, und damit dieses Geschenk der Welt vorenthalten? Je mehr sie zur Frau wurde, desto schwerer wogen für sie diese Fragen. Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass nichts ihrer Schönheit gleichkam – außer vielleicht die Ungerechtigkeit, dass sie sie nicht zeigen durfte. Als ob Gott ein solch himmlisches Wesen nur geschaffen hätte, um es vor den anderen Lebewesen zu verbergen. Diese Unmenschlichkeit passte zu ihm: Er verlangte, auf das zu verzichten, was einem am teuersten war. Er schuf Versuchungen und gleich darauf die Schuld. Er verzieh den Bösen und bestrafte die Guten. Belle fühlte sich als Opfer von Gottes »Masterplan«, auch wenn sie nicht genau wusste, worauf dieser eigentlich abzielte.
Sie saß auf dem Fußboden ihres Zimmers – ein Taschentuch in Reichweite – und dachte an all die Stiefellecker, die in ihrem Haus in Newark einst aufmarschiert waren, um ihren Vater um einen Gefallen zu bitten. Die einen wollten, dass er einen Verwandten protegierte, die anderen, dass er einen Konkurrenten ausschaltete. Belle Manzoni dagegen, seine eigene Tochter, hatte diese Art der Hilfestellung nicht nötig. Er hätte sie nur gewähren lassen müssen. Sie hätte ganz allein ihren Weg gefunden und ihre Ziele erreicht. Die Ironie dieser Tatsache ließ sie erneut aufschluchzen, sie weinte und weinte, doch alle die Tränen konnten sie nicht mit ihrem traurigen Schicksal versöhnen. Sie lebte in Keuschheit. Man hätte sie genauso gut als Jungfrau lebendig einmauern können. Zum allerersten Mal verfluchte sie ihre Eltern, dass sie als Tochter eines Kriminellen auf die Welt gekommen war.
Ihr Gesicht war von den Tränen ganz verquollen. Es rebellierte in ihr. Warum ein Leben führen, mit dem sie überhaupt nicht einverstanden war? Die eleganteste und vernünftigste Lösung wäre, es zu beenden. So schnell wie möglich. Sie rannte zum Fenster, das zum Garten ging, und blickte kühn hinunter. Wenn sie sich aus diesem Fenster stürzte, würde sie überleben, und zwar als Krüppel. Nein, ihr Ende musste schon ein sicheres sein; ein Akt der Größe, zu dem sie allerdings noch das passende Publikum finden musste, das den Tag, an dem Belle Manzoni dem Tod in die Arme sprang, nie vergessen würde.
Sie überlegte kurz. Heute war der ideale Tag zum Sterben. Es war Sommeranfang, die ganze Stadt war auf den Beinen. Das war die Chance zurückzuschlagen! Sich vom Kirchturm in das Nichts stürzen. Der Todessturz eines Engels. Die Menge würde ihren zerstörten Körper vor dem Kirchenportal finden. Ein wenig Blut tropfte noch aus ihrem Mund und beschmutzte ihr Kleid. Was für ein überwältigendes Bild. Aber warum die Kirche? Warum überhaupt Gott? Was hatte er bewirkt, um sich ein solches Opfer zu verdienen? Vor seinem Haus zu sterben wäre für ihn der Ehre zu viel. Außerdem existierte Gott überhaupt nicht, dafür gab es Beweise. Oder konnte man auch ihn in die Stufen des Peter-Prinzips einsortieren und er hatte das Maß seiner Unfähigkeit eben gerade bei Belles Schicksal erreicht? Belle schloss die Augen und stellte sich den Place de la Libération vor. Keines der Gebäude war hoch genug. Keines. Aber da war ja noch … das Riesenrad?
Aber natürlich, das Riesenrad! Die ideale Bühne für ihr großes Finale. Und wie symbolträchtig! Dieses Rad würde sich von nun an ohne sie weiterdrehen. Das war tausendmal wirkungsvoller als ein Sturz vom Kirchturm. Erleichtert ging sie zum Kleiderschrank und holte ihr weißes Göttin-Diana-Kleid heraus – das asymmetrische –, außerdem ihren seidenen Schal und ihre weißen Pumps. So würde sie als heidnische Madonna der Nachwelt in Erinnerung bleiben. Zu schön für diese hässliche Welt. Ihr Foto würde in vielen Zeitungen erscheinen, und Millionen von Menschen würden sich ihren Tod weitererzählen, ihn ausschmücken und so am Erschaffen der Legende von der schönen Belle mitwirken. Wie alle romantischen Heldinnen würde sie die Dichter zu Liedern inspirieren, die von Generationen von Mädchen nachgesungen wurden. Und wer weiß, vielleicht würde man eines Tages sogar einen großen Hollywoodfilm über das Leben von Belle Blake drehen, über das auf der ganzen Welt Millionen von Zuschauern Tränen vergössen. Sie trug ein wenig Grundierung und
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