Malchatun
Das findet ihr alle ganz in der Ordnung. Du auch! Eine schöne Freundin bist du - das muß ich schon sagen. Osman ist nicht alt. Den hättest du klettern sehen sollen! Glaubst du, daß Salmenikos jemals klettern würde? Der könnte mich nackt auf einem Tschardak stehen sehen . . .«
»Nilufer! Ich bitte dich . . .«, vertrat Ana den jungfräulichen Anstand.
»Ach was! Du ärgerst dich doch nur, weil Osman nicht zu dir hinaufgeklettert ist. Aber das wird er nie tun. Und wenn er es täte, kratzte ich dir die Augen aus, dir und ihm! Zu mir kam er hinauf, ganz nach oben, so hoch, daß dir schwindeln würde, meine Liebe!« schloß sie stolz.
»Aber ich sag’ ja gar nichts gegen ihn!« Mit diesen Worten bat Ana um Gnade, und Nilufer gewährte sie, allerdings auf ihre eigene Weise. »Dann red auch nicht so dumm daher und mach nicht solch Gesicht«, sagte sie. »Immer gerade, wenn ich mal vergnügt bin, machst du ein Gesicht!«
»Ach, Nilufer, du weißt doch!«
Da waren die Mädchen nun wieder glücklich bei dem, was sie alle Tage unermüdlich und mit Lust besprachen: bei einer echten und rechten Liebesgeschichte. Denn wenn Nilufer nicht das Mädchen war, eine Geschichte von Liebe - und noch dazu einer so unglücklichen - jemals langweilig zu finden, so war Kirina Ana wiederum keins, vor der geliebten Freundin ihres Herzens Geheimnisse verbergen zu können.
Und dies hatte sich begeben:
Eines Tages war in Chirmendschik große Aufregung gewesen. Ein Flüchtling war in den Herrenhof gebracht worden. Ihn fortzuweisen hätte seiner schweren Wunden wegen bedeutet, ihn zu töten. Dennoch hatte Kir Michael in Ansehung der möglichen Folgen gezaudert, bis er von Ana zu dem Werk christlicher Nächstenliebe überredet worden war. Keinem Manne aber widersteht eine Frau, zumal eine junge, schwerer als dem, der ihr sein Leben verdankt, und von dieser Regel war Kirina Ana keine Ausnahme. Joannes Mazaris hinwieder
- denn das war der Flüchtling gewesen - hatte in seiner Bresthaftigkeit der Liebe zu seiner Pflegerin nur geringen Widerstand entgegensetzen können. Auf diese Weise war der Schüchternen wider eigenes Erwarten Liebe zuteil geworden. Mit einer Inbrunst, die nichts zu löschen vermochte, hing sie nun an ihrem Joannes, dem Tod zu bringen Chalil Nacht und Tag Karadschahissar entgegenritt. »Ach soo . . .«, fühlte Nilufer ihr Gewissen sich regen. »Gräm dich deswegen doch nicht. Ich hätte es Osman bestimmt gesagt, daß er deinen Joannes freilassen solle. Aber erst waren wir so lustig, und dann wurden wir gestört. Du mußt mir nicht böse sein, Ana«, schmeichelte sie, »Anizza . . .!«
»Ich bin dir nicht böse. Doch du weißt es noch nicht: Dein Vater hat mit Osman Bey gesprochen . . .«
»Und?«
»Ich kenne die Antwort des Beys nicht.«
»Hat dir der Vater beim Abschied nichts gesagt?«
»Nein.«
»Da siehst du es, Anizza: diese Männer! Immer machen sie sich wichtig, und zuletzt müssen sie doch tun, was wir wollen. Aber laß Väterchen nur. Mit Osman werde ich reden, und ich sage dir, er muß. Er muß deinen Joannes freilassen. Das wäre ja noch schöner!«
»Wenn du das könntest!« schöpfte Ana wieder Hoffnung. »Aber . . .«
»Was heißt hier >aber Kümmere du dich um deinen Joannesich kümmere mich um meinen Osman.«
»Nilufer . . .«
»Du armes Kind«, spottete Nilufer, »du glaubst gar nicht, wieviel hübscher du wärest, wenn du dich entschließen könntest, weniger moralisch zu sein.«
»Du mußt mich hören«, ließ sich Ana jedoch nicht beirren. »Fürchtest du dich denn gar nicht? Ich habe so viel von Malchatun Begum gehört. Sie soll eine schrecklich große Dame sein . . .«
»Sie wird mich schon nicht fressen.«
»Nilufer!« steigerten sich Anas Bedenken zur Angst. »Vergiß nicht: Er ist ein Moslem!«
»Das ist es ja gerade«, lachte Nilufer aber nur. »Du kriegst deinen Joannes, und mich laß zufrieden.«
Doch weder an diesem noch am nächsten Tage gelang es Nilufer, den Bey ohne Zeugen zu sprechen.
Die unruhigen Zeiten verringerten die Einnahmen des Grenz-beys und zwangen zu Ausgaben, die bei friedlicheren Zuständen hätten wegfallen können. So waren allein schon Sold und Unterhalt der Sipahis und der Ghureben, der Fremdlinge, für Malchatun stets ein Gegenstand immer erneuerter sorgenvoller Berechnungen. Aber zu entbehren waren die Söldner nicht. Auch hatte sich in mehr als einem Jahrzehnt so etwas wie ein Harem um Malchatun gebildet, und den konnte man aus politischen Gründen
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