Malchatun
Gelassen kniete Malchatun in der Richtung nach Mekka. Ihre Söhne folgten dem Beispiel.
Dann herrschte wiederum Schweigen. Eine Dienerin erschien und entflammte die Lampen, und erst als das Mädchen sich entfernt hatte, begann Malchatun: »Ihr hörtet des Vaters Geheiß«, sagte sie. »Was dünkt dich, du mein Ältester, Orkhan, was geschehen möge?«
»Was der Vater befiehlt«, war Orkhans rasche Antwort, »er ist der Fürst, wir haben zu gehorchen.«
»Und wenn der Fürst, dein Vater, abwesend ist - wem gehorchst du dann?«
»Dir, meiner Mutter und Herrin!«
»Du bist der Älteste, mein Sohn«, widersprach sie, »prüfe dich wohl! Könnte es dir niemals einfallen, an Stelle des Vaters befehlen zu wollen? Auch mir?«
»Nie!«
»Und warum nicht?«
»Weil du die Gebenedeiete über allen Frauen bist. Keine gleicht dir. Was von den anderen gelten mag, gilt nicht von dir.«
»Weil dein Vater und ich eins sind«, berichtigte sie. »Ich bin sein Auge, sein Ohr, sein Mund und sein Herz. Ich sehe, höre und fühle, was er nicht vernehmen kann. Und darum ist sein Wort in Fällen wie diesem erst dann sein Befehl, wenn er ihn zuvor mit mir besprach.«
»Ich sagte es nur, Mutter«, meinte Orkhan ein wenig beschämt, »weil ich dachte, eine Ordnung müsse sein.«
»Ich sagte dir die Ordnung«, entschied Malchatun, »und bitte du Allah um eine Frau, mit der du leben kannst wie dein Vater mit mir. Also Joannes Mazaris soll sterben«, kam sie auf die Botschaft zurück. »Was sagst du, Alaeddin?«
»Sie werden sagen, wir haben Angst davor, daß die Mazaris uns Karadschahissar wieder nehmen könnten«, meinte der Knabe.
»Das würde man sagen«, bestätigte Malchatun, »aber man würde auch sagen, daß Kir Michael durch des Mazaris Tod habe bestraft werden sollen.«
Einen Augenblick bedachte sich Alaeddin. »Warum dann nicht Kir Michael selbst bestrafen, wenn wir keine Angst vor ihm haben?«
»Du sagst es, mein Sohn. - Siehst du«, wandte sie sich an Orkhan, »der Knabe Alaeddin spricht die Wahrheit. Will der Bey, unser Herr, Kir Michael treffen, so bestrafe er ihn in dessen eigener Person und nicht durch den Tod eines anderen. Dadurch verlöre er nur einen Freund - einen schwankenden, aber einen, der durch Großmut vielleicht noch zu gewinnen wäre -, und er warnte zugleich den neuen Feind. Der Bey möge seine Gesinnung verbergen und die Gelegenheit abwarten. Erst dann sterbe der Verurteilte . . ., wenn Osman dann noch verurteilen will. Um so schneller dagegen handele er, falls er den Freund wiedergewinnen möchte, auf daß man ihn allerorten preise als den Hort der Bedrängten und der Gerechtigkeit.«
»Du bist klug, liebe Mutter, unsere Herrin . . .«, wollte Orkhan anheben . . .
»Es wäre nicht klug«, unterbrach sie ihn aber, »so zu handeln, als sei der Befehl des Beys nie erfolgt. Darum lasse du in meinem Namen alles zur Hinrichtung des Mazaris vorbereiten. Ziehe aber zugleich Vogt und Henker ins Vertrauen, daß nur Hammelblut das Leder befeuchte und Kir Joannes verborgen gehalten werde, bis der Bey über ihn verfüge.«
»Hören ist Gehorchen, meine Mutter.«
»Gehorchen ist gut, aber besser als blinder Gehorsam ist der des Verständigen.«
»Ich glaube dich zu verstehen.«
»Sprich.«
»Du gebotest dem Chalil Schweigen, und so hat der Vater nichts mit der Hinrichtung zu tun. Sie ist nur die Folge des Urteils und zeigt allen - wenn sie nicht erfolgt -, was hätte geschehen können, falls der Bey nicht über jedes Erwarten Gnade geübt hätte . . ., wenn der Bey Gnade üben sollte . . .«
Malchatun lächelte und legte ihren Arm um die Schultern des hoch aufgeschossenen Jungen. Er stand, so groß wie sie, die nicht klein war, neben ihr.
»Wohlgesprochen«, lobte sie, »und nun geh. Dir gebührt das Tun.«
31
Das Fest der Ankunft in Karadschahissar war ein Fest des Harems und der Familie. Wohl verbrüderten sich die Gefolge von Christen und Moslemin, und Osman ließ es an nichts fehlen, was die Gelage heiter machen konnte; aber die Herrschaften selbst trafen sich bei Malchatun und deren Frauen. Das waren außer den Damen von Jarhissar die Verwandtschaft der fürstlichen Familie und Osmans Alpe, die auch alle irgendwie mit ihm verschwägert waren.
Wenn es nicht mehr so ungezwungen wie in den Filzjurten zuging, so nahm man es dafür in bezug auf den Koran nicht gerade ängstlich. Als Mongolen wollten Türken und Turkmanen immer noch nichts vom Abschließen der Frauen vor fremden Männern wissen. Sie
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