Malchatun
Weise zu führen, bei der die Körper sich gegeneinander abgrenzten.
»Wenn du willst, möchte ich dir eine Geschichte erzählen«, sagte sie. Nilufer hätte es eigentlich vorgezogen, selbst zu sprechen. Aber da saß sie, zu einem Knäuel zusammengekrochen, ihrer Tante Malchatun gegenüber, der Vielgeliebten. Ihr zu widerstehen, fand sie plötzlich, sei gar nicht so einfach.
»Es war einmal ein junger Mensch, fast noch ein Knabe«, begann also Malchatun ungehindert, »und dieser Junge konnte kein Mädchen sehen, wenn es nicht gerade einen Höcker hatte, ohne es anzureden, sich mit ihm zu necken und ihm ein Stelldichein vorzuschlagen, bei dem nur der Mond der dritte sein sollte. Was die Leute ihm sonst noch Übles nachsagten, wurde nie eigentlich bewiesen, doch mochte wohl nicht immer alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Dieser Jüngling nun erblickte eines Tages die Tochter seines Lehrers, und von Stund an sah er, wie selbst seine ärgsten Tadler zugeben mußten, kein anderes Mädchen mehr an. Sein Lehrer aber verweigerte ihm seine Tochter . . .«
»Oh, Tante Malchatun«, unterbrach Nilufer heftig, »du behandelst mich wie ein Kind, dem man Märchen erzählt. Und es ist doch alles gar kein Märchen! Der Junge ist Osman, dem Kumral die Fürstenwürde prophezeite. Die Tochter bist du, und ganz Bithynien weiß, wie lange er um dich warb. Und daß er dir treu war - davon bin ich überzeugt. Wie hätte er dich nicht lieben sollen! Aber das alles ist schon schrecklich lange her. Jetzt liebt er eben mich!« schloß sie mit der ganzen Unbarmherzigkeit erster Jugend.
»Hat er dir das etwa gesagt?« forschte Malchatun nun doch in der ersten Aufwallung eifersüchtigen Zornes.
»Er hat mich geküßt!« ließ Nilufer nicht auf die Antwort warten, und zwei Augenpaare blitzten sich feindlich an.
»Sonst nichts?« stieß Malchatun ebensoschnell zu; denn es war ein Zustoßen und keine Frage.
Jetzt erst entstand eine Pause.
»Was denn sonst . . . was meinst du, Tante . . .?« stotterte Nilufer in ehrlicher Unwissenheit sowohl wie unter dem Eindruck der Drohung, um sich dann gerade gegen jedes Drohen mit Trotz und Eigensinn zu wappnen. »Er hat mich geküßt, sag’ ich dir!« behauptete sie sich in ihrer festesten Stellung. »Frag ihn selbst, wenn du es nicht glaubst. Und wenn ein Mann ein Mädchen küßt, muß er es heiraten! Das weißt du sehr gut, Tante Malchatun, und es hat gar keinen Zweck, daß du mir etwas anderes sagst. Ich glaube dir doch nicht.«
Im ersten Augenblick hätte Malchatun beinahe ihren Gleichmut wiedergefunden: Ein Kind, ganz wie sie gedacht habe, nichts als ein Kind sei die Kleine.
Aber in ihrem Eifer hatte Nilufer sich aufgerichtet, die Decke war herabgeglitten, der schwarze Mantel hatte sich geöffnet, und nun es war ja niemand da, vor dem sich Nilufer hätte verbergen müssen , nun sah Malchatun genug von den Verlockungen eines weißen Mädchenkörpers, um zu wissen, daß sie es mit keinem Kind mehr zu tun habe.
Plötzlich war alles anders. Mehr als die kindischen Worte bedeutete Malchatun dieser Anblick, der ihr so unbefangen und ohne jede Herausforderung geboten wurde und dennoch so feindlich auf sie wirkte. Zu keinem Lächeln fühlte sie sich versucht. Körperhaft nahe empfand sie den harten Willen und die nicht geringe Intelligenz, die ihr in diesem Mädchen entgegentraten, und siesaugte sich mit den Blicken fest an dieser Jungen, noch von keinen Falten Bedrohten, die noch nicht geboren und von Sorgen nie etwas gewußt hatte. Angegriffen fühlte sich Malchatun und in einem Besitz bedroht, der ihr stets unverlierbar erschienen war. Ob denn nichts mehr gelte, was gewesen sei? fragte sie sich voll schmerzlicher Empörung, keiner ihrer Ritte der nicht zum Sultan Alaeddin nach Kutahie der zum sterbenden Ertoghrul nach Sögüd nicht, und nicht ihr Auftreten in der nächtlichen Dschirga gegen Dündar? Sei das alles nichts mehr? Komme jetzt die Jugend, sie aus ihrem Recht zu verdrängen, das ihr wahrlich nicht ohne Kampf zugefallen sei!
In ihrem ersten Kummer sah sie ihre Furcht bereits verwirklicht, sah sie unmittelbar vor sich, was bis zur Unwahrscheinlichkeit fern war. Nur einen kurzen Augenblick dauerte diese Furcht; aber als er vorbei war, hatte sie es schon gesagt:
»Du hast also vor, mich von Osman zu trennen?« hatte sie gefragt. Die Antwort war ein neues Erstaunen Nilufers.
»Ich dich . . .? Oh, Tante, du Liebe«, rief sie und warf sich über Malchatun, »nicht mehr ansehen würde ich
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