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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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den Raureif auf den Grashalmen des Parks der Villa Berg gepinkelt. Danach hatte ich ihn zu Sally gebracht und mich, weil sie so süß verschlafen vor mir stand, mit einer Umarmung von ihr verabschiedet. »Und vielen Dank für alles, Sally!«
    Als ob ich geahnt hätte, dass ich am Abend tot sein würde.
    Schilder winkten uns auf einen riesigen Messeparkplatz, ein Bus brachte uns zu den Hallen. Im Torhaus betraten wir die Messe, an Schleusen lasen Lasergeräte den Barcode auf Richards Karte, die Ruben mir geschickt hatte, und auf meiner Eintrittskarte für die Presse ab. Garderoben beraubten uns der Mäntel, dann empfing uns die teppichgedämpfte Atmosphäre der Literatur. Stand um Stand, Halle um Halle, eine halbe Million Bücher, davon 130.000 Neuerscheinungen, über siebentausend Aussteller aus hundert Ländern. Ich hatte mich vorher kundig gemacht. »Heidabimbam! Wer soll das alles lesen!«
    »Niemand«, antwortete Richard mit abenteuerlustig geweiteten Nasenflügeln. »Es gibt zweitausendfünfhundert verschiedene Tomatensorten und niemand sagt: Wer soll die alle essen!«
    »Bücher sind halt unbescheiden und fordernd, Ri chard. Sie sind wie meine Mutter, sie erzeugen ein schlechtes Gewissen. Man hat nie genug gebetet!«
    Andererseits reduzierte sich der moralisch-appellative Charakter der Bücher doch sehr, wenn man sah, wie gut einige Verlage von ihnen leben konnten. Man erkannte es an den riesenhaften, über mehrere Parzellen reichenden Verlagsständen aus teuren Materialien, wo wichtige Menschen in dunklen Anzügen standen und von Damen in Hostessenkostümen Sekt gereicht bekamen und Fernsehteams nach wichtigen Autoren in Kordsakkos mit und ohne Schal Ausschau hielten.
    »Wann hast du deinen Termin mit Frau Brandel?«, fragte ich Richard zum wiederholten Mal.
    »Um vier am Stand von Fliegenkopf.« Richard schaute die alphabetisch gekennzeichneten Reihen mit den Standnummern an. »Müsste da drüben irgendwo sein. Ich weiß nicht, was du vorhast, aber ich gehe jetzt zu den Argentiniern. Die sind dieses Jahr Gastland. Mein alter Freund José ist bestimmt auch dort.«
    Ich durchwanderte die Hallen 3.1 und 3.0, Literatur und Sachbuch, trank einen Orangensaft an einer Saftbar, rauchte auf dem Balkon eine Zigarette, stieß auf den Stand von Yggdrasil, der sich schwäbisch sparsam auf eine Parzelle beschränkte, eine Wand mit dem callgirlroten Buch gepflastert hatte und an den anderen beiden Wänden sein restliches Programm vom Regionalkrimi bis zum Wanderbuch zur Schau stellte. Julius Hezel trug ei nen hellgrauen Anzug und lächelte beseligt. Er hatte seine Pressefrau dabei, die noch damit beschäftigt war, einen Kaffeeautomaten in Betrieb zu nehmen. Auf einem Tischchen standen Knabbereien und ein Karton mit der Mitteilung »Lola Schrader am Stand, Mi. 16 Uhr«.
    Mich erkannte er nicht als diejenige, die bei Lolas erster denkwürdiger Lesung bei Durs Ursprung im Publikum gesessen hatte. Ich beließ es dabei und flanierte an allerlei Unsinn vorbei, an Mondeinflüssen auf Steine, an einer Geschichte des dritten Jahrtausends, an Lyrik und Miniprosa, an Kabäuschen, in denen einsam einer mit Ökobart oder eine in Wahrsagerinnengewändern saß und sich im Ohr oder in der Nase popelte. Woanders herrschte Lärm und Hallo, weil sich alte Bekannte trafen und auf die Schultern klopften. In manchen Ständen lagen mehr Radiergummis und Plastikspielzeug auf dem Tresen, als Bücher auf den Borden standen. Es gab Verlage, die nur ein einziges Buch anboten, das dutzendfach im Regal stand.
    An einer Ecke hatte ein Verlag zwei Damen an einen Kaffeeautomaten gestellt, die gegen Mittag an Feuilletonredakteure und Literaturkritiker Kaffee auskellnerten. Vom Messeschnupfen hörte ich einen alten Hasen reden, er erkälte sich immer bei all dem Rein und Raus. Prognosen wurden abgegeben: Der Untergang der Branche sei dieses Jahr noch mal aufgehalten, aber schon nächstes Jahr unausweichlich, das E-Book auf dem Vormarsch, Verlage bald unnötig, das Buch in der Form, wie wir es kennen, in zehn Jahren Geschichte.
    Ich tastete besorgt in der Innentasche meiner Bikerja cke nach Maries Buch, zog es sogar heraus, das Unikat Schloss und Fabrik von Louise Otto mit Einschussloch, Kommunardenflugblättern und Geheimbotschaft. Burn warehouse burn !
    Gab es hier eigentlich Sprinkleranlagen? Ich schaute an die Hallendecke vom Typ Raumschiff Enterprise.
    »Ups!«
    Mit dem Kopf im Nacken war ich in einem linken La den gegen eine Bank gestolpert. Eine Frau

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