Malerische Morde
übrig. Weder Vaclav noch der Ossi verschwendete einen Gedanken daran, wie dereinst dieses Bild unter den kunstvollen Pinselbewegungen eines längst verstorbenen Genies entstanden war. Sie nahmen nicht die atemberaubende Schönheit des Wolkenteppichs über der Silhouette von Hillesheim wahr, den Lichteinfall, der dieses Bild auszeichnete, und dessen Kunstfertigkeit den Maler Fritz von Wille so berühmt gemacht hatte. Hätte man sie gefragt, hätten sie nichts von dem Mann erzählen können, dessen Schöpfung sie gerade aufrollten wie einen alten Teppich.
Wallraff stieß mit seinem Kombi zu ihnen. Er war besorgt, da er befürchtete, der Farbauftrag auf der Leinwand könne womöglich Schaden nehmen. Sie strichen Zentimeter um Zentimeter der Leinwand mit den Händen glatt, bevor sie sie um die Rolle legten. »Vorsicht. Verdammt, seid bloß vorsichtig, hört ihr!« Er hüpfte im Zwielicht der durch das Blätterdach einfallenden Sonnenstrahlen um sie herum wie ein aufgedunsenes Rumpelstilzchen.
Der Tscheche herrschte ihn an: »Halt’s Maul, ja? Wir machen Arbeit gut.«
Wallraff biss sich auf die Lippe. Die beiden waren ihm nicht geheuer. Bisher hatte er nie mit Helfern gearbeitet, und er wusste auch warum. »Ist schon gut«, murmelte er leise. »Ich mach mir ja nur Sorgen. Es ist schon seit einer Ewigkeit aufgespannt, und jetzt …«
Die beiden nahmen keine Notiz von ihm. Vaclav zündete sich eine Zigarette an und behielt sie im Mundwinkel, bis die Asche schon zentimeterlang war. Wallraff wagte nicht mehr, etwas dazu zu sagen.
Schweigend umwickelten sie zum Abschluss die Rolle mit Decken und zurrten Paketband darum. Dann luden sie das längliche Bündel in Wallraffs Auto.
»Ich muss euch etwas sagen.«
Die beiden schlugen die Heckklappe zu und traten zu ihm. Der Ossi zog geräuschvoll die Nase hoch und rotzte in die Büsche.
»Ich habe gerade auf der Fahrt hierhin einen Anruf bekommen.« Wallraff hielt das Handy in die Höhe. »Es wird sich um einen Tag verzögern.«
»Was?« Vaclavs Gesicht zeigte keine Regung.
»Es war Pfeiffer.«
»Probleme?« Vaclav horchte auf.
»Er kann es erst morgen Abend in Empfang nehmen. Fragt mich nicht warum.«
»Warum?«, stieß der Ossi hervor und kam noch näher.
»Ich weiß es nicht, verdammt noch mal, ich weiß es wirklich nicht! Er hat nur klipp und klar gesagt: Heute nicht. Morgen Abend, ja.«
»Scheiße!«, fluchte der Tscheche.
»Das habe ich auch gesagt. Aber, was soll ich tun? Er ist der Kunde. Er kann sagen: ›Morgen nicht? Gut, dann reißt das Ding auf Streifen und wischt euch den Arsch ab damit.‹ Also wird es erst morgen werden.« Wallraff schritt nervös auf dem Waldweg hin und her und ruderte mit den Armen. »Glaubt ihr, mir macht das Spaß? Wir haben alles termingenau geplant und durchgezogen, und jetzt …«
Der Ossi tippte Wallraff mit dem knöchernen Zeigefinger in den dicken Wanst. »Hör mal gut zu …« Sein Dialekt war wirklich schaurig. Er tippte immer wieder und immer fester. Wallraff wich langsam zurück. »Wenn du uns verschaukeln willst, Freundchen.«
»Wir sind doch Partner, Jungs.« Wallraff brach der Schweiß aus.
»Wollte ich nur mal klarstellen, Wallraff.«
»Also, das ist zwar alles unangenehm, aber es ist ja kein Beinbruch. Bis jetzt hat doch alles prima funktioniert. Ihr wart gut. Ich war gut. Wir müssen eben nur noch bis morgen abwarten.«
»Und wie geht’s jetzt weiter?«, fragte der Tscheche kühl.
»Alles wie geplant. Oder, Jungs? Alles wie geplant!«
Den geklauten Kleintransporter rollten sie einfach gemeinsam in ein dichtes Gebüsch, ohne noch einmal den Motor zu starten.
Dann stiegen sie alle zusammen in den PKW, in dessen Mitte die verschnürte Diebesbeute längs über den Sitzen lag.
Wallraff fuhr den Waldweg weiter, entgegengesetzt zu der Richtung, aus der sie gekommen waren. Oberhalb von Beinhausen verließen sie das schützende Gesträuch und reihten sich unauffällig in den Verkehr ein.
»Is keine gute Idee«, sagte Vaclav. »Was sollen wir in Atelier? Da können Bullen hinkommen. Finden uns.«
Wallraff suchte im Rückspiegel nach Blickkontakt. »Ich weiß, das ist nicht ganz ungefährlich. Aber sicherer als anderswo, glaubt mir. Übers Dach rein, und dann können wir das gute Stück durchs Erdgeschossfenster reinholen.«
Der Vorteil am Haus in Mirbach war, dass man sich mit dem Auto unbemerkt von hinten nähern konnte. Es gab eine kleine Garage hinter dem Haus, in die sie das Fahrzeug hineinfahren konnten,
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