Malevil
Fulberts.
La Roque ist ein hochgelegener kleiner Flecken, an eine Felswand gelehnt, in seinem unteren Teil gänzlich von Wallmauern eingeschlossen
und an seinem Scheitel von einem Schloß gekrönt. Weiler solcher Art, von denen es in Frankreich ein gutes Dutzend gibt, wurden
einstmals von den Touristen sehr geschätzt, La Roque aber ist einer von den homogensten Orten. Alle seine Häuser sind alt,
keines ist verunziert worden, seine Ringmauern sind intakt geblieben und haben zwei schöne, von |291| Rundtürmen flankierte Tore, eines im Süden – durch das wir eben gekommen sind –, das andere im Westen, durch das man auf die
Departementsstraße gelangt, die zum Hauptort führt.
Wenn man durch das Südtor eintritt, hat man ein Gewirr von schmalen Gäßchen vor sich und kommt dann erst auf die Hauptstraße.
Sie ist kaum breiter als die übrigen, aber wegen der Läden dort nennt man sie so. Sie hat noch einen anderen Namen: La Traverse.
Ihre Läden sind sehr schön, denn als die Stunde der Modernisierung schlug, hat der Denkmalschutz untersagt, die massiven Wölbungen
der Fensteröffnungen anzutasten. Das übrige besteht aus unverputztem goldgelbem Stein mit fast unsichtbaren Fugen, die Dächer
sind aus Steinplatten, und die erneuerten Teile von warmer, heller Farbe zeichnen ein Zackenmuster in die schwarzgrauen Flecken
der alten Platten. Die dicken, ungleichen Pflastersteine sind wie die Häuser vierhundert Jahre alt, von den Menschen, die
darüber hingegangen sind, prachtvoll poliert.
Die Hauptstraße steigt sehr steil bis zum Portal des Schlosses an, das reich verziert und monumental, aber ohne Torbau, ohne
Zinnen und Schießscharten ist, weil solche »Wehranla gen « in der späten Epoche, in der es errichtet wurde, schon aus der Mode waren. Das Tor selbst hatten die Lormiaux dunkelgrün
gestrichen, was auf den ersten Blick überrascht, denn in La Roque sind alle Fensterläden traditionsgemäß bordeauxrot gestrichen.
Das Schloß, von Mauern umschlossen, stammt aus dem 16. Jahrhundert und wurde an der Stelle einer niedergebrannten Burg errichtet.
Davor ist ein kleiner Platz von fünfzig mal dreißig Metern, von dem aus man eine weite Aussicht genießt – bei klarem Wetter
sieht man sogar Malevil. Die Lormiaux haben ungeheure Mengen von Humuserde auffahren lassen, um sich dort einen englischen
Rasen anzulegen. Hinter dem Schloß die Felswand, die es überragt und beschützt.
Auf dem buckligen Pflaster der Traverse verursachen Malabars Hufe und die Räder des Fuhrwerks einen Heidenlärm. An den Fenstern
tauchen Köpfe auf. Ich sage zu Jacquet, er soll bei Lanouaille, dem Fleischer, anhalten, um die Kalbshälfte abzuladen. Und
kaum haben wir angehalten, treten die Leute vor ihre Türschwellen.
Ich finde sie abgemagert und vor allem ziemlich zurückhaltend. |292| Ich war auf einen überschwenglichen Empfang gefaßt gewesen. Und obwohl die Augen aufleuchten, als Jacquet sich die Hälfte
von Prince auf den Rücken lädt und mit Lanouailles Hilfe an einen Haken hängt, erlischt dieses Leuchten gleich wieder. Dasselbe
wiederholt sich, als ich mit den zwei Landbroten und der Butter komme und sie Lanouaille aushändige, der sie mit einem gewissen
Zaudern und einer fast erschrockenen Miene in Empfang nimmt, während die Leute von La Roque, die uns umringen, das Brot gespannt
und mit betrübtem Blick betrachten.
»Gibst du das alles uns?« fragt mich unvermittelt und in nahezu zornigem Ton Marcel Falvine, während er sich aus der Umschlingung
seiner Schwester und seiner Großnichte frei macht und in seinem Lederschurz, der ihm um die Beine schlenkert, auf mich zukommt.
Ich wundere mich über seinen aggressiven Ton und schaue ihn an. Ich kenne ihn seit langer Zeit, zumeist aber habe ich ihn
nur in seiner Werkstatt gesehen. Er ist ein Mann von etwa sechzig Jahren, nahezu kahl, mit schwarzen Augen und einer dicken
Nase, die rechts eine Warze trägt. Was mich aber am meisten überrascht, ist der Kontrast zwischen seinen kurzen krummen Beinen
und seinen herkulischen Schultern.
»Gewiß doch«, sage ich. »Es ist für euch alle.«
»In diesem Fall«, sagt Marcel und wendet sich mit lauter Stimme an Lanouaille, »brauchst du nicht zu warten. Du teilst sofort
auf. Und beginnst mit den Broten.«
»Ich weiß nicht, ob der Herr Pfarrer einverstanden wäre«, sagt Fabrelâtre. »Es wäre besser, zu warten.«
Fabrelâtre, das Eisenwarengeschäft von La Roque. Baumlang und
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