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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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ein ungekanntes Gefühl von
     Gelöstheit, von Leichtigkeit. Ich lasse Malabar eine Wendung ausführen, um die Sonnenwärme auch auf Rücken und Nacken zu spüren.
     Und um mich von allen Seiten bescheinen zu lassen, umkreise ich die Kuppe des Hügels im Schritt, wobei mir Amarante, die |289| Thomas nicht um seine Meinung fragt, wenn sie es dem Hengst nachtun will, unverzüglich folgt. Ich betrachte die Erde unter
     mir. Vom Regen geknetet und durchdrungen, ist sie bereits kein Staub mehr. Sie hat ihr lebendiges Aussehen wiedergewonnen.
     In meiner Ungeduld suche ich sogar nach einer Spur von einem frischen Trieb und betrachte mir die am wenigsten verbrannten
     Bäume, als ob ich Knospen daran finden könnte.
    Am nächsten Tag entschließen wir uns, Prince, das Stierkalb, zu opfern. In Malevil besitzen wir Hercule, den Stier aus dem
     Etang. In La Roque gibt es ebenfalls einen Stier. Es hat keinen Sinn mehr, Prince zu behalten; da wir die Noiraude nach La
     Roque geben wollen, die Marquise überdies ihre Zwillinge nähren muß, brauchen wir von Princesse die Milch.
    Die »Opferung« – so lautet der scheinheilige Ausdruck, den man in den einschlägigen Zeitschriften für die Ermordung eines
     Tieres verwendet – war eine abscheuliche Sache. Denn Princesse, der wir Prince weggenommen hatten, begann zu brüllen, daß
     es uns das Herz zerriß. Miette, die Prince bis zum letzten Augenblick gestreichelt hatte, setzte sich auf die Pflastersteine
     und weinte heiße Tränen. Und das war immerhin von einer günstigen Wirkung, denn bislang hatte diese Art von »Opferung« Momo
     in höchstem Grade aufgeregt und ihn die ganze Zeit zu wildem Schreien veranlaßt. Da er nun Miette in Tränen aufgelöst sah,
     blieb Momo still, versuchte sie zu trösten und setzte sich, als ihm das nicht gelang, neben sie, um mit ihr zu weinen.
    Prince war schon über zwei Monate alt, und als Jacquet ihn ausgenommen hatte, beschlossen wir, eine Hälfte davon an die Leute
     von La Roque abzugeben und im Austausch Zucker und Seife von ihnen zu verlangen. Wir nahmen auch zwei Laibe Landbrot und Butter
     mit, als Geschenk. Außerdem drei Hebebäume, um die am Tage des Ereignisses über die Fahrstraße gestürzten Baumstümpfe zu beseitigen.
    Am Mittwoch brachen wir bei Sonnenaufgang in dem von Malabar gezogenen Feldwagen auf. Ich selbst mit beklommenem Herzen, weil
     ich Malevil verlassen sollte, wenn auch nur für einen Tag. Colin froh, sein Materiallager wiederzusehen, und Thomas zufrieden,
     die Umgebung zu wechseln. Alle drei bewaffnet, das Gewehr am Riemen.
    |290| Die aus dem Etang wissen sich nicht zu lassen vor Freude, Catie und ihren Onkel Marcel wiederzusehen. Miette hat sich am Vortag
     die Haare gewaschen und trägt ein bedrucktes Kleidchen, zu dem ihr ein jeder von uns Komplimente macht. (Dicke Kußhändchen,
     um uns zu danken.) Jacquet ist rasiert und gekämmt. Und die Falvine vergeht vor Jubel, weil sie nicht nur ihren Bruder wiedersehen
     wird, sondern auch für ein paar Stunden den häuslichen Pflichten und der Tyrannei der Menou entweichen kann.
    Dieses Glück ist zu groß für sie: Kaum haben wir Malevil hinter uns, beginnt sie zu reden wie ein Wasserfall. Wir begreifen,
     woher ihre Hochstimmung rührt, und niemand hat das Herz, sie anzuschnauzen. Lieber steigen wir drei, von Miette gefolgt, beim
     ersten Baumstumpf vom Wagen und lassen Jacquet allein den Wortschwall erdulden. Trab zu fahren kommt ohnehin nicht in Betracht.
     Hinter dem Feldwagen ist die Noiraude angebunden und folgt, so gut sie kann. Für die fünfzehn Kilometer bis La Roque benötigen
     wir über drei Stunden. Während dieser ganzen Zeit redet Falvine, ohne daß ihr jemand zuhört, pausenlos weiter. Ein- oder zweimal
     horche ich, um den Mechanismus des Redeflusses zu begreifen. Es ist nichts Geheimnisvolles daran: Eins bringt das andere mit
     sich. Falvines Konversation haspelt sich ab wie ein Rosenkranz.
    Um acht Uhr treffen wir vor dem Südtor von La Roque ein. Hier finden wir den kleinen, in das Tor eingelassenen Türflügel offen.
     Ich brauche ihn bloß aufzustoßen und gelange ins Innere, kann die Riegel zurückschieben und die beiden Torflügel öffnen. Niemand
     ist in der Nähe. Ich rufe. Keine Antwort. Freilich, das Tor führt in den unteren Teil des Ortes, und da dieser ausgebrannt
     ist, darf man sich nicht wundern, daß er unbewohnt ist. Aber daß das Tor weder bewacht noch auch nur verschlossen ist, sagt
     genug über die Sorglosigkeit

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