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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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waren, brachte ich das Fadenkreuz des Zielfernrohrs in die Höhe seines
     Ohrs und gab Feuer. Es sah aus, als schnellte er in die Höhe und führte einen gefahrvollen Sprung aus, bevor er auf dem Boden
     zusammenbrach. Sein Gefährte stand eine volle Sekunde regungslos, drehte sich dann um sich selbst und rannte den Weg hinunter.
    »Stehenbleiben!« rief ich ihn an.
    Er lief weiter.
    »He, du Großer, bleib stehen!« brüllte ich aus voller Lunge.
    Ich legte die Springfield an. Gerade als ich das Fadenkreuz in die Höhe seines Rückens brachte, blieb er zu meiner großen
     Überraschung stehen. Ich rief ihn an.
    |407| »Beide Hände in den Nacken! Und geh zur Palisade zurück!« Er kehrte mit langsamen Schritten zurück. Sein Gewehr trug er noch
     immer umgehängt. Bereit, bei jeder verdächtigen Bewegung zu feuern, überwachte ich ihn.
    Es geschah nichts. Ich stellte fest, daß der Mann in einiger Entfernung von der Palisade stehenblieb, und ich begriff, daß
     er keine Lust hatte, nochmals den geborstenen Schädel seines Gefährten zu sehen. In diesem Moment begann die Glocke am Torbau
     ungestüm zu läuten. Ich wartete, bis sie aufgehört hatte, dann rief ich zu ihm hinüber. »Stell dich mit dem Gesicht zur Felswand
     und rühr dich nicht mehr.«
    Er gehorchte. Ich übergab Meyssonnier meine Springfield und nahm mir seinen Karabiner 22.
    »Du hältst auf ihn angelegt, bis ich drüben bin«, sagte ich hastig. »Und sobald ich dort bin, kommst du heran.«
    »Glaubst du, daß sie zu einer Bande gehören?« fragte Meyssonnier und befeuchtete sich die Lippen.
    »Ich bin ganz sicher.«
    In diesem Augenblick rief jemand, ich glaube, es war Peyssou, von der Umwallung am Torbau herunter.
    »Comte? Meyssonnier? Alles in Ordnung?«
    »In Ordnung!«
    Ich brauchte eine volle Minute, um vom Hügel der Sept Fayards hinunter- und drüben hinaufzusteigen. Der Mann hatte sich nicht
     gerührt. Er stand der Felswand zugekehrt, die Hände im Nacken. Ich bemerkte, daß ihm die Beine leicht zitterten. Hinter der
     Palisade hörte ich Peyssous Stimme.
    »Soll ich öffnen?«
    »Noch nicht. Ich warte auf Meyssonnier.«
    Ich sah mir den Mann an. Eins achtzig groß, dichtes schwarzes Haar, ein jugendlicher Nacken. Das Kaliber von Jacquet, aber
     dünner. Kräftig, aber schlank. Gekleidet wie die jungen Leute der Gegend: Bluejeans, Halbschuhe und kariertes Wollhemd. Aber
     an ihm hatte die Kleidung ein elegantes Aussehen. Sogar seine Haltung war elegant. Und auch in der demütigen Position, zu
     der ich ihn zwang, bewahrte er Würde.
    »Nimm ihm die Waffe ab«, sagte ich zu Meyssonnier, als er neben mir war.
    Den Lauf meiner eigenen drückte ich dem Gefangenen in den Rücken. Ohne daß man es ihm zu befehlen brauchte, hob |408| er die Arme, damit Meyssonnier ihm den Gewehrriemen über den Kopf ziehen konnte.
    »Armeegewehr«, sagte Meyssonnier respektvoll. »Modell 36.«
    Ich zog mein Taschentuch hervor, faltete es zusammen und sagte: »Ich will dir die Augen verbinden. Laß deine Hände herunter.«
    Er ließ es geschehen.
    »So, jetzt kannst du dich umdrehen.«
    Er drehte sich um, und endlich sah ich, mit Ausnahme der Augen, sein Gesicht. Nicht älter als zwanzig Jahre. Rasierte Wangen,
     aber ein schwarzes Spitzbärtchen mit sorgfältig gestutzten Rändern. Eine saubere und solide Erscheinung. Doch mußte man selbstverständlich
     noch die Augen sehen.
    »Meyssonnier«, sagte ich, »nimm die Flinte des Toten auf und sammle auch die Munition, die er bei sich haben muß.«
    Meyssonnier brummte. Er hatte bis jetzt vermieden, auf den Leichnam und seinen zertrümmerten Kopf zu blicken. Genau wie ich.
    »Peyssou, du kannst öffnen!«
    Der obere Riegel glitt zurück, dann der untere, dann die beiden Querriegel. Man hörte ein Klicken: das Vorhängeschloß.
    »Noch ein Gewehr 36«, sagte Meyssonnier, als er sich erhob.
    Peyssou erschien, warf einen Blick auf die Leiche, wurde unter seiner Sonnenbräune bleich und nahm Meyssonnier die zwei Gewehre
     ab.
    »Hat ihn die Springfield so zugerichtet?« fragte Peyssou.
    Meyssonnier antwortete nicht.
    »Hast du denn nicht geschossen?« fing Peyssou noch einmal an, da er die Springfield in Meyssonniers Händen sah. Dieser schüttelte
     den Kopf.
    »Nein, ich bin’s gewesen«, sagte ich gereizt.
    Die flache Hand auf dem Rücken des jungen Mannes, schob ich ihn vorwärts. Peyssou schloß wieder ab. Ich nahm den Gefangenen
     am Arm und ließ ihn sich ein paarmal um sich selbst drehen, bevor ich ihn auf den

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