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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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war kein Kinderblick, sondern der einer Frau. Und
     der sagte, ebenso deutlich wie Worte: Er gehört mir.
    |400| Was Miette von diesem Vorfall dachte, kann man nur ahnen. Doch es gab keine Äußerung von ihr. Als Emmanuel wieder an der Reihe
     war, überging sie ihn, und Emmanuel schien es nicht wahrzunehmen.
    Alle Diskussionen mit Catie über die vermutete Intimität zwischen Emmanuel und Evelyne rühren daher. Catie machte geltend,
     daß Emmanuel nicht der Mann sei, keusch zu bleiben, nachdem er Miette entsagt hatte.
    Colin, dem ich unsere Zweifel anvertraute, war gegenteiliger Ansicht. Es ist nicht wahr, sagte er, daß Emmanuel nicht keusch
     bleiben kann. Ich, der ich mit dir rede, habe Emmanuel mit zwanzig Jahren zwei Jahre lang keine Frau anrühren sehen. Zwei
     Jahre lang. Ein Weiberheld zuvor, ein Weiberheld hernach, und nicht nur ein bißchen, aber während dieser zwei Jahre: nichts.
     Wenn du meine Meinung wissen möchtest, es gibt da ein Mädchen, das ihm viel Kummer gemacht hatte.
    Und dann, du kennst Emmanuel nicht, fügte er hinzu. Er ist ein Mensch mit Gewissen. Er würde so etwas nicht tun. Emmanuel
     hat einem Mädchen niemals eine Gemeinheit angetan. Es war schon eher umgekehrt. Er ist nicht der Mann, der Mißbrauch treiben
     würde, nein, das niemals.
    Ich fragte ihn dann nach seiner Meinung, wie er die Situation denn sähe. Nun, er liebt sie, sagte er, und über die Art und
     Weise, wie er sie liebt, könnte ich nichts sagen. Klar, es ist ein wenig verwunderlich, da Evelyne ein mageres Kätzchen ist
     und Emmanuel mit einer Frau bisher um so zufriedener war, je mehr sie drauf hatte. Verwunderlich auch in Anbetracht dessen,
     daß Evelyne vierzehn Jahre alt und nicht einmal hübsch ist. Aber daß er sie anrührt, nein. Da kannst du ein Kreuz drüber machen.
     Das ist nicht seine Art.
    Ich muß sagen, daß sich in der Folge auch Catie dieser Ansicht angeschlossen hat, denn als sie sich zur Aufgabe machte, »sie
     zu beobachten«, entdeckte sie niemals ein Anzeichen, das ihren Verdacht hätte stützen können.
    3. Die Versammlung, die Emmanuel in diesem Kapitel beschrieben hat, war nicht nur von Bedeutung, weil sie unseren Übergang
     zur »harten Moral« markierte, die unserem »neuen Zeitalter« besser angepaßt ist; sie machte auch Emmanuel zu unserem militärischen
     Befehlshaber »in Fällen von Dringlichkeit und Gefahr«. Und da sich diese Fälle in den folgenden |401| Monaten häuften, vereinigte Emmanuel, der bereits Geistlicher von Malevil war, schließlich alle Macht der Gemeinschaft, die
     geistliche und die weltliche, in seiner Hand.
    Handelt es sich dabei für Emmanuel um eine »Erhebung in den Herrenstand« und um eine einfache Rückkehr in die feudale Vergangenheit?
     Ich glaube nicht. Meiner Ansicht nach ist der Geist, in dem die Gemeinschaft von Malevil ihre internen Beziehungen betrachtet,
     völlig modern. Und modern ist auch Emmanuels ständige Sorge, nichts zu unternehmen, ohne sich vorher unserer Zustimmung zu
     versichern. Ohne von Demut zu reden – ich verabscheue diese masochistische Redeweise –, würde ich sagen, daß in der Art, wie
     Emmanuel und wir alle uns unablässig bereit finden, uns selbst in Frage zu stellen, ein gewisses Hinausgehen über das eigene
     Ich erkennbar wird.

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    Zwei Tage nach dem Besuch des alten Pougès ließ ich im Morgengrauen eine Erkundung vor den Mauern von La Roque ausführen.
     Ich gewann die Überzeugung, daß Fulbert schlecht auf der Hut war und die Einnahme der Ortschaft leicht sein würde. Die beiden
     Tore wurden bewacht, aber die lange Wallmauer zwischen den Toren wurde nirgends verteidigt und war nicht so hoch, daß man
     sie nicht mit einer Leiter oder mit Hilfe eines an einem Seil befestigten Enterhakens hätte erklimmen können.
    Ich setzte die Expedition nach La Roque für den folgenden Tag fest, befahl aber, entgegen der allgemeinen Auffassung, die
     nächtliche Überwachung der Zugänge nach Malevil bis zum frühen Morgen auszudehnen. Da wir nach der Ernte in den Rhunes nichts
     mehr zu bewachen hatten, war die Nachtwache auf einen Bunker beschränkt worden, den wir auf dem Hügel der Sept Fayards gegraben
     hatten und der hervorragende Ausblicke auf den Weg nach Malevil und auf die Palisade bot.
    Da sich die Gefährten ziemlich gesträubt hatten, in der Nacht vor der Expedition nach La Roque die Außenüberwachung zu übernehmen,
     weil die Vorstellung bestand, man müsse sich für diesen großen Tag frisch

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