Malevil
Tatsachen genauer zu umreißen, wie wenn Meyssonniers »Version«, da sie von einem Kommunisten kam, bei einem
ehrbaren Mann a priori nur Mißtrauen erwecken könnte.
Meyssonnier begriff das alles. Doch der Unbeugsamkeit seines Geistes entsprach auch ein Mangel an Geschmeidigkeit in seiner
Rede. Und er verriet mit seiner Antwort eine Bissigkeit, die seinem Gegner beinahe recht zu geben schien.
»Es gibt keine zwei Versionen«, sagte er schroff, »es gibt nur eine, und jedermann hier kennt sie. Der Bürgermeister, dieser
Erzreaktionär, hat sich nicht gescheut, beim Bischof vorstellig zu werden, damit er für Malejac einen Pfarrer ernennt. Antwort
des Bischofs: Jawohl, unter der Bedingung, daß ihr das Pfarrhaus restauriert und eine Wasserleitung legt. Und der Bürgermeister
hat diese Order sofort ausführen lassen. Man hat einen Graben ausgehoben, Wasser aus einer Quelle herangeführt und eine große
Summe in die Einrichtung des Hauses gesteckt. Und das alles selbstverständlich auf unsere Kosten.«
Monsieur Paulat schloß halb die Augen, stützte die Ellbogen auf den Tisch und drückte die vorderen Fingerglieder, Daumen eingeschlossen,
gegeneinander. Dieses Symbol für Gleichgewicht und Maß wiegte er vor und zurück und erklärte mit zermalmender Gerechtigkeit:
»Bis dahin kann ich da nichts sehen, was
verdammenswürdig
wäre. (Bei »verdammenswürdig« gestattete er sich ein feines Lächeln, um zu zeigen, daß er dieses klerikale Wort nicht gänzlich
auf seine Rechnung nehmen wolle.) Monsieur Nardillon hat eine katholische Mehrheit hinter sich, die in der Tat recht schwach
ist und die wir deshalb zu stürzen hoffen. Daß er sie zufriedenzustellen sucht, indem er Malejac einen Pfarrer zu ganzen Teilen
(neues Lächeln) verschafft anstelle eines Priesters, den es, wie bisher, mit La Roque zu teilen hätte, das ist normal. Anderseits
ist die Pfarrei ein altes Wohnhaus aus dem 17. Jahrhundert mit Türgiebel und gemeißelten Dachfenstern, und es wäre schade
gewesen, wenn man es hätte verfallen lassen.«
|53| Meyssonnier wurde rot und senkte sein spitzes Gesicht, als wollte er sich in den Angriff stürzen. Ich ließ ihm nicht die Zeit
dazu, sondern nahm selber das Wort.
»Monsieur Paulat«, sagte ich höflich, »wenn die Mehrheit in Malejac einen ortsansässigen Pfarrer haben möchte und ihn zu bekommen
sucht, indem sie das Pfarrhaus herrichtet, bin ich ganz Ihrer Meinung: ich finde das nicht
verdammenswürdig
(wir tauschten ein feines Lächeln). Ich stimme mit Ihnen auch darin überein, daß eine Gemeinde die von ihr verwalteten Gebäude
nicht verkommen lassen darf. Doch es sind einige Prioritäten zu beachten. Denn das Pfarrhaus drohte nicht zu verfallen. Sein
Dach war sogar in ausgezeichnetem Zustand. Und es ist schade, daß man dort die Fußböden erneuert hat, bevor man den Schulhof
instand setzte, der für alle Kinder von Malejac da ist, ohne Unterschied der Ansichten. Ebenso ist es schade, daß bloß das
Pfarrhaus eine Wasserleitung erhalten hat, bevor fließendes Wasser in alle Wohnungen von Malejac gelegt wurde, was längst
hätte geschehen müssen. Noch bedauerlicher ist, daß die Wasserleitung für das Pfarrhaus am Hause einer Witwe vorbeiführt,
die weder Brunnen noch Zisterne hat, und daß der Bürgermeister nicht an eine Anschlußleitung gedacht hat, die es dieser Witwe
mit fünf Kindern erspart hätte, ihr Wasser von der Pumpe zu holen.«
Monsieur Paulat hielt die Augen gesenkt und die Fingerspitzen geschlossen. Er nickte mehrmals und sagte: »Gewiß!«
Meyssonnier setzte zum Sprechen an. Aber ich bedeutete ihm, er möge noch warten. Ich wollte Monsieur Paulat Zeit lassen, seine
Mißbilligung öffentlich und deutlich kundzutun. Er aber beschränkte sich darauf, nochmals mit dem Kopf zu nicken und mit tief
betrübter Stimme zu wiederholen: »Gewiß! Gewiß!«
»Das schlimmste ist, Herr Direktor«, sagte der kleine Colin mit einem Respekt, den sein Lächeln Lügen strafte, »daß man das
ganze Geld für das Pfarrhaus umsonst ausgegeben hat. Denn als der alte Pfarrer von La Roque vor kaum einer Woche wegging,
hat der Bischof wie gewöhnlich einen neuen Pfarrer für La Roque und Malejac zugleich eingesetzt, wobei er ihm lediglich empfahl,
in Malejac zu wohnen. Der Neue aber hat La Roque vorgezogen.«
»Von wem haben Sie diese Geschichte?« fragte Monsieur Paulat und sah Colin streng an.
|54| »Von ihm selber, von Abbé Raymond, dem neuen
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