Malevil
bohrte sich mit |56| dem Daumen in der Nase. Daran merkte ich, daß er sich tüchtig ödete und daß die Diskussion an einem toten Punkt angelangt
war.
Ich fing im Fluge ein paar Worte auf, die das bestätigten.
»Trotzdem muß etwas getan werden«, sagte ich. »Wir können das nicht einfach so durchgehen lassen. Ich habe einen Vorschlag
zu machen, den ich euch zur Abstimmung unterbreite. Ich schlage vor«, fuhr ich nach kurzer Pause fort, »daß wir dem Bürgermeister
einen Brief schreiben. Ich habe diesen Brief schon vorbereitet, und wenn ihr gestattet, lese ich ihn vor.«
Ohne die erbetene Erlaubnis abzuwarten, zog ich den Text gleich aus der Tasche und las ihn vor.
»Nein, nein!« rief Monsieur Paulat mit bebender Stimme und schüttelte abwehrend beide Hände. »Keinen Brief! Keinen Brief!
Ich bin völlig dagegen, auf diese Art vorzugehen!«
Er sprühte, er stotterte, er war ganz außer sich. Klar, denn ein Schriftstück, zumal ein Schriftstück gegen den Bürgermeister,
läßt sich nur schwer verleugnen, wenn es einmal unterschrieben ist.
Monsieur Paulat führte nun ein anderthalbstündiges Rückzugsgefecht. Am Ende suchte er Zuflucht bei der Verfahrensordnung und
verlangte die Vertagung unserer Debatte. Sofort beantragte ich eine Abstimmung über diesen Punkt. Monsieur Paulat forderte
vorher eine Abstimmung über die Zweckmäßigkeit der Abstimmung. Er wurde zweimal geschlagen.
»Nun, Monsieur Paulat«, fragte ich in konziliantem Ton, »mit welchen Punkten meines Briefes sind Sie denn nicht einverstanden?«
Er protestierte. Ich überfahre ihn! Ich setze ihm das Messer an die Kehle! So eine Tyrannei!
»Und dann«, fügte er hinzu, »könnte ich Ihnen das nicht so mir nichts, dir nichts sagen! Der Text ist lang, man müßte ihn
noch einmal lesen!«
»Hier ist eine Kopie«, sagte ich und reichte ihm über den Tisch hinweg einen Durchschlag meines Schreibens an den Bürgermeister.
Es war ein gelbes Blatt Papier, und obwohl ich leidenschaftlich an der Diskussion beteiligt war, mußte ich doch flüchtig an
Birgitta denken.
Monsieur Paulat spielte eine Szene von besonderer Art.
|57| »Nein, nein!« sagte er mit Stimme, Kopf und Schultern, während er die Kopie in Empfang nahm, die er, als sie in seinen Händen
war, von sich weisen wollte.
»Im übrigen«, fuhr er in verbittertem Ton fort, »bin ich kein Anhänger von Texten, die im voraus angefertigt sind. Wir wissen
zu gut, wie dieses Verfahren von den politischen Parteien und insbesondere von der KP angewendet und mißbraucht wird.«
Ich gab Meyssonnier ein Zeichen, sich nicht auf die Provokation einzulassen. Vielleicht hatte Monsieur Paulat in dem Falle
nicht ganz unrecht.
»In diesem Text«, sagte ich bescheiden, »sind die Gedanken zusammengefaßt, über die wir schon hundertmal diskutiert haben.
Er ist klar, er ist nicht lang, er ist gemäßigt im Ton, und er enthält nichts Neues. Ich verstehe also nicht, was Ihnen daran
mißfällt.«
»Ich habe doch nicht behauptet, daß er mir mißfiele«, sagte Monsieur Paulat verzweifelt. »Im großen ganzen bin ich ja einverstanden
…«
»Na also, dann stimmen Sie doch dafür!« fuhr Meyssonnier grob dazwischen, den die Spitze gegen die KP ärgerte.
Monsieur Paulat überhörte diesen Einwurf.
»Nun, Monsieur Paulat«, sagte ich mit liebenswürdigem Lächeln, »wollen Sie uns nicht sagen, worauf sich Ihre Vorbehalte beziehen?«
»Nicht um 13 Uhr 30 mittags!« sagte Monsieur Paulat und schaute auf seine Armbanduhr. »Meine Herren«, fuhr er mit bebender
Stimme fort, »ich sehe schon, daß Sie entschlossen sind, meinen Skrupeln Gewalt anzutun. Schön. In diesem Falle habe ich die
Pflicht, Ihnen im voraus zu sagen, daß Sie meine Stimme nicht bekommen werden.«
Es trat Schweigen ein.
»Na gut, stimmen wir ab«, sagte Colin. »Ich bin dafür.«
»Dafür«, sagte Meyssonnier.
»Dafür«, sagte Peyssou.
»Dafür«, sagte ich.
Wir sahen Monsieur Paulat an. Er war gelb und verkrampft.
»Stimmenthaltung«, sagte er mit zusammengepreßten Lippen.
Der große Peyssou starrte ihn mit offenem Munde an, dann |58| wendete er mir sein schweres, ungeschlachtes Gesicht zu und fragte mit hervortretenden Augen: »Stimmenthaltung, was soll das
heißen?«
»Ganz einfach, ich weigere mich abzustimmen«, sagte Monsieur Paulat säuerlich.
»Aber hat er denn das Recht dazu?« fragte mich Peyssou, über die Maßen erstaunt, und redete von Monsieur Paulat in der dritten
Person, wie
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