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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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scheinbar ohne Erregung fügte
     er hinzu: »Das ist eine saubere Bombe.«
    |114| Ich hörte, wie Meyssonnier sich in seinem Sessel bewegte. »Sauber!« sagte er düster.
    »Das bedeutet: ohne Niederschlag«, sagte die Stimme von Thomas.
    »Ich hatte verstanden«, sagte Meyssonnier.
    Und wieder Schweigen. Atemzüge, sonst nichts. Ich preßte meine Hände an die Schläfen. Wenn die Bombe sauber war, dann deshalb,
     weil derjenige, der sie abwarf, die Absicht hatte, das Gebiet zu besetzen. Er würde es nicht besetzen. Er war seinerseits
     vernichtet worden: Das Schweigen der Rundfunksender sagte alles. Und was Frankreich betrifft, brauchte man keine Vermutungen
     darüber anzustellen, ob ihm noch Zeit geblieben war, in den Krieg einzutreten. Frankreich, im Rahmen einer globalen Strategie
     vernichtet, um Fuß zu fassen. Oder um zu verhindern, daß der Gegner dort Fuß faßte. Eine kleine, vorher abgesprochene Vorsichtsmaßregel.
     Ein kleiner, mit Vorbedacht geopferter Bauer. »Aus dem Wege geräumt«, wie es im militärischen Sprachgebrauch heißt.
    »Und eine einzige Bombe genügt, Thomas?«
    Ich fügte nicht hinzu, »um Frankreich zu vernichten«. Er verstand auch so.
    »Eine einzige schwere Bombe, wenn sie in vierzig Kilometer Höhe senkrecht über Paris detoniert«, sagte Thomas.
    Er hielt es für überflüssig, fortzufahren. Er sprach artikuliert und leidenschaftslos, als ob er Schülern eine Rechenaufgabe
     diktierte. Und ich, ich hätte meiner Schüler wegen schon lange daran denken sollen, als ich noch Lehrer war. Das wäre doch
     ein klein wenig moderner gewesen als die Aufgabe mit den beiden Wasserhähnen. Es gilt, daß sich die Druckwirkung wegen der
     geringen Dichte der Luft in großen Höhen nicht ausbreitet, daß aber die Hitzewirkung aus dem gleichen Grunde noch in einer
     Entfernung spürbar ist, die direkt proportional zur Höhe der Explosion zunimmt: In welcher Höhe über Paris muß man eine Bombe
     von soundso viel Megatonnen explodieren lassen, damit Strasbourg, Dunkerque, Brest, Biarritz, Port-Vendres und Marseille niedergebrannt
     werden? Ich hätte übrigens variieren können. Zwei Unbekannte anstelle einer einzigen einführen: die Anzahl der notwendigen
     Megatonnen zugleich mit der Höhe der Explosion berechnen lassen.
    »Es ist ja nicht nur Frankreich«, sagte Thomas plötzlich. |115| »Ganz Europa. Die Welt. Sonst hätte man andere Sender auffangen können.«
    In diesem Moment sehe ich Thomas im Weinkeller vor mir, wie er, Momos Kofferradio in der Hand, den Zeiger unaufhörlich über
     die Skala gleiten läßt. Seine mathematische Akribie hatte ihm zufällig das Leben gerettet. Ohne das unerklärliche Schweigen
     der Sender wäre er ins Freie gegangen.
    »Trotzdem«, sagte ich. »Nimm an, es hätte sich eine Abschirmung zwischen der thermischen Zone und dir befunden. Ein Berg,
     oder eine Felswand wie in Malevil.«
    »Ja«, sagte Thomas, »örtlich.«
    Dieses »örtlich« bedeutete bei Thomas eine Einschränkung. Ich faßte es nicht so auf. Es bestärkte mich in meinen eigenen Überlegungen.
     Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte es in Frankreich andere verschonte Punkte und hier und da Gruppen von Davongekommenen
     gegeben. Unerklärlicherweise spürte ich in mir eine wärmende Hoffnung aufkommen. Ich sage: unerklärlicherweise, denn der Mensch
     hatte mitnichten bewiesen, daß er zu überleben verdiente oder daß man ihm arglos begegnen konnte.
    »Ich werde schlafen gehen«, sagte Meyssonnier.
    Es waren kaum zwanzig Minuten verstrichen, seit er gekommen war, und er hatte kaum drei Worte gesprochen. Er hatte uns besucht,
     um seine Einsamkeit zu verjagen, aber seine Einsamkeit trug er in sich. Sie war ihm in unser Zimmer gefolgt, und nun würde
     er sie wieder in das seine mitnehmen.
    »Gute Nacht«, sagte ich.
    »Gute Nacht«, sagte Thomas.
    Meyssonnier erwiderte nichts. Ich hörte das Knarren der Tür, die sich hinter ihm schloß. Eine Viertelstunde später stand ich
     auf und klopfte an seine Tür.
    »Thomas schläft«, log ich. »Störe ich dich?«
    »Nein, nein«, sagte er mit matter Stimme.
    Ich tastete mich an den kleinen Schreibtisch aus spanischem Rohr heran, den ich für Birgitta aufgestellt hatte. Um das Schweigen
     auszufüllen, sagte ich: »Es ist ja stockdunkel.«
    Und Meyssonnier mit seltsam tonloser Stimme: »Ich frage mich, ob es morgen Tag wird.«
    Ich fand den kleinen Rohrsessel Birgittas, und als ich ihn berührte, erinnerte ich mich. Das letztemal, als ich hier saß,
    

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