Malina
ihre Augenlider kommen ins Flattern, denn die ganze Geschichte droht wieder zum hundertsten Mal aufgetischt zu werden, der Hofmannsthal und der Strauss waren natürlich jeden Sommer bei ihnen gewesen, Max Reinhardt und Kassner, und das seltene Kassnergedenkbuch vom Fertsch Mansfeld, das müßten wir heute alle endlich einmal sehen, und die Feste von dem Castiglione, une merveille sans comparaison, inoubliable, il était un peu louche, oui, aber Reinhardt, toute autre chose, ein wirklicher Herr, il aimait les cygnes, natürlich hat er die Schwäne geliebt! Qui était ce type là?, fragt Marie kalt. Antoinette zuckt mit den Achseln, doch Atti kommt dem alten Herrn freundlich zu Hilfe, bitte, Onkel Gontran, erzählen Sie doch diese urkomische Geschichte von Eurer Bergtour, wißt ihr, das war die Zeit, wo dieser Alpinismus ausgebrochen ist, das ist wirklich zum Totlachen, weißt du, Antoinette, daß der Onkel Gontran einer der ersten Skifahrer war, die auf dem Arlberg diese Arlbergtechnik gelernt haben, war das die Zeit vom Christiana und vom Telemark? und er war auch einer der ersten, die eine Sonnenblumenkerne-Diät und das Sonnenbaden erfunden haben, es war damals was Tollkühnes, nackt, bitte erzählen Sie doch! Kinder, ich sterbe, verkündet Antoinette, ich bin froh, daß ich mich überessen kann, wie ich will, Linie hin oder her. Sie sieht Atti scharf an, legt die Serviette weg, sie steht auf und wir gehen alle aus der kleinen Stube in die große Stube nebenan, warten auf den Mokka, und Antoinette verhindert noch einmal, daß der alte Beaumont den Arlberg und die Kneippkur, das Nacktsonnen oder sonst ein Abenteuer aus dem Anfang des Jahrhunderts zumbesten gibt. Unlängst sag ich doch zu dem Karajan, aber man weiß ja nicht, ob der Mann einem zuhört, der ist ständig in einer Trance, bitte Atti, du mußt mich nicht so beschwörend anschauen, ich halt ja schon den Mund. Aber was sagts ihr zu der Christine ihrer Hysterie? Zu mir gewendet: Bitte kannst du mir sagen, was in diese Frau eigentlich gefahren ist, sie schaut mich an, als hätt sie einen Besen geschluckt, ich grüß immer freundlich, aber diese Nocken möcht mich mit nichts als Pech und Schwefel überschütten, der Wantschura mit seiner Bildhauerei, der wird sie natürlich, wie vorher die Lisel, um alle Nerven gebracht haben, das ist ja notorisch bei ihm, dann sind seine Musen ganz aufgerieben, weil sie immer im Atelier herumstehen müssen, und der Haushalt dazu, ich verstehe es ja, aber man muß doch eine Contenance haben, wenn man in der Öffentlichkeit steht mit so einem Mann, er ist ja wahnsinnig begabt, der Atti hat seine ersten Sachen gekauft, ich zeig sie euch, das sind dem Xandl seine besten!
Wenn jetzt noch eine Stunde vorbeigeht, darf ich in mein Bett und mich mit einer dicken Bauerntuchent zudecken, denn es ist immer kühl abends im Salzkammergut, draußen wird etwas flirren, aber auch im Zimmer wird etwas zu brummen anfangen, ich werde aus dem Bett steigen, herumgehen, ein brummendes, summendes Insekt suchen, es doch nicht finden, und dann wird sich ein Falter still auf meiner Lampe wärmen, den könnte ich erschlagen, aber gerade der tut mir nicht und darum kann ich es nicht, er müßte schon Laute von sich geben, ein marterndes Geräusch machen, um mich mordlustig zu machen. Aus dem Koffer hole ich ein paar Kriminalromane, ich muß nur noch lesen. Aber nach ein paar Seiten merke ich, ich kenne das Buch schon. MORD IST KEINE KUNST . Auf dem Pianino liegen Antoinettes Noten herum, zwei Bände SANG UND KLANG , ich schlage sie an verschiedenen Stellen auf und probiere leise ein paar Takte, die ich als Kind gespielt habe. Erzittere Byzanz ... Ferraras Fürst, erhebet Euch ... Der Tod und das Mädchen, der Marsch aus Die Regimentstochter ... das Champagnerlied ... Des Sommers letzte Rose. Leise singe ich, aber falsch und daneben: erzittere Byzanz! Dann noch leiser und richtig: der Wein, den man mit Augen trinkt ...
Gleich nach dem Frühstück, bei dem Atti und ich allein sind, fahren wir mit seinem Motorboot weg. Atti hat einen Chronometer um den Hals hängen, mir hat er die Stange mit dem Haken gereicht, in einem heiklen Moment will ich sie ihm geben undlasse sie fallen. Du bist ja nicht gescheit, du sollst doch damit staken, wir schlagen ja an den Steg, so stemm doch das Boot ab! Atti schreit sonst nie, aber in jedem Boot muß er schreien, das allein könnte mir die Boote verleiden. Nun fangen wir an, nach hinten hinauszufahren, er wendet, und
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