Mallorca Schattengeschichten
Gegenteil. Sein neuer Freund nannte ihn Specki, seine Feinde Schweineschwarte, Fleischklumpen oder einfach nur Fettsack. Den Spiegel am Kleiderschrank verhängte er mit Kleidungsstücken, damit er den Anblick seiner Masse nicht schon morgens beim Aufstehen ertragen musste.
Selbst seine Mutter rief jeden Morgen die Treppen hoch: »Dickerchen, Frühstück ist fertig!«
Als er sich die Stufen hinabgewuchtet hatte und im Esszimmer stand, keuchte er vor Anstrengung. Zwei Häuser weiter wohnte ein Mädchen, das Fußball spielte. Mit seiner Kondition würde er sie niemals beeindrucken. Weder sie noch sonst jemanden.
Stefan verstand zwar nicht, wenn ihm die einheimischen Kinder barrigón oder bolsa de grasa hinterher riefen; aber das musste er auch nicht. Die spöttischen Gesichter reichten ihm völlig. Hinzu kamen die Fieslinge in der deutschen Schule in Santa Ponça. Die lachten nur und verhöhnten ihn beim Sportunterricht.
Im Fernsehen sah er sich jedes Spiel der Fußball-WM an. Doch selbst mit schlauen Kommentaren käme er bei diesem Mädchen nicht weiter. Sie übersah ihn, obwohl es sie große Mühe kosten musste. Stefan wog mit seinen zwölf Jahren stolze hundert Kilo. Unmöglich, ihn zu übersehen. Er wusste genau, dass sich coole Mädchen nicht mit fetten Jungs abgaben; und er war uncool.
Gestern war er mit seinem Freund schwimmen gewesen. Vom Felsen aus hatte er eine Arschbombe ins Wasser gemacht. Beim Auftauchen hörte er, wie jemand brüllte: »Wenn Free Willy noch mal springt, gibt´s Tsunami-Alarm und wir können einpacken!«
Um dem Gelächter zu entgehen, tauchte er ab. Kaum zurück an der Wasseroberfläche, hörte er: »Seht ihr, ich wusste, der bleibt nicht lange unten. Fett schwimmt immer oben!«
Die Worte hallten in seinem Kopf nach. Das coole Mädchen hatte alles gehört, lachte aber wenigstens nicht über ihn. Trotzdem hätte er sich am liebsten ertränkt.
Wie konnte er sie nur beeindrucken? Im Bett lag er lange wach und grübelte, bis sein Plan feststand. Er musste abnehmen und trainieren, solange, bis er es zum besten Linksaußen der Fußballmannschaft der Schule brächte. Das würde Eindruck schinden - mit Sicherheit. Der Gedanke ließ ihn endlich einschlafen.
Am nächsten Morgen schlurfte er ins Esszimmer und sah den gedeckten Tisch. Gebratener Speck, ein Berg Rühreier, Toast und eine heiße Schokolade warteten auf ihn. Stefan setzte sich und sah seinem Vater zu, wie er sich den Teller vollschaufelte.
Stefan starrte auf die vollen Pfannen. Wenn er das aß, würde er nie abnehmen.
»Mama, warum sind wir alle so fett?«, fragte er, und sah zu seiner Mutter, die den Türrahmen komplett ausfüllte.
Sie zuckte mit den Schultern. »Das liegt bei uns in der Familie. Ich bin dick, Papa ist dick, und du ... du warst schon als Baby pummelig. Da kann man nichts machen. Iss jetzt, sonst kommst du zu spät zur Schule!«
Stefan überlegte. »Mama, könnten wir nicht mal etwas anderes frühstücken? Müsli oder Obst? In der Schule sagen sie, nur wer fett isst, ist fett.«
Seine Mutter trat an den Tisch, nahm die Kelle und schöpfte ihm das Rührei auf den Teller. »Schätzchen, du hast einen harten Tag vor dir, und du brauchst eine ordentliche Grundlage. Das ganze Grünzeug schmeckt sowieso nicht. Und jetzt iss!«
Er stocherte in den Eiern herum, biss aber nur in das Toastbrot. »Stört es euch überhaupt nicht, dass die Leute über uns lachen?«
Verwundert sah seine Mutter zu Stefan. »Deinen Vater haben sie extra eingeflogen, um dieses lahme Immobilienbüro wieder auf Vordermann zu bringen. Wen interessiert schon das blöde Geschwätz der Leute?«
»Mich! Alle lachen mich aus!«, brüllte er, sprang vom Tisch auf und rannte aus dem Haus.
»Du willst was ?« Karsten stemmte ungläubig die Hände in die Hüften. »Hast du schon mal einen Fußballspieler gesehen, der ein Specki ist? Wir reden von Fußball und nicht von American Football, wo du mit Sicherheit besser aufgehoben wärst.«
»Ich will aber ins Team. Du bist auch nicht gerade der Schnellste.« Stefan starrte seinen Freund an. »Außerdem will ich von dir nicht mehr Specki genannt werden. Sonst such ich mir einen anderen Freund.«
Karsten lachte und klopfte ihm auf die Schulter. » Vale . Ist okay. Ich kann aber nichts versprechen. Bin schon gespannt, was der Pfeifer dazu meint.«
Nach der Schule begleitete Stefan Karsten zum Training auf den Fußballplatz. Er suchte nach Herrn Pfeifer. Der Trainer stand auf der
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