Malloreon 5 - Seherin von Kell
Mädchen brachten ihnen das Frühstück, und Sammet zog die junge Frau mit den großen Augen und dem seidigen braunen Haar zur Seite und sprach kurz zu ihr. Dann kehrte die blonde Drasnierin an den Tisch zurück. »Sie heißt Onatel«, berichtete sie, »und sie hat Ce'Nedra und mich eingeladen, sie und die anderen jungen Frauen bei der Arbeit zu besuchen. Junge Frauen reden viel, vielleicht erfahren wir etwas.«
»Hieß die Seherin, der wir auf der Insel Verkath begegneten, nicht Onatel?« fragte Sadi.
»Das ist ein verbreiteter Name unter Dalaserinnen«, warf Zakath ein. »Onatel war eine ihrer berühmtesten Seherinnen.«
»Aber Verkat ist in Cthol Murgos!« gab Sadi zu bedenken.
»So seltsam ist das gar nicht«, entgegnete Belgarath. »Wir stießen inzwischen auf Hinweise, daß die Dalaser und die Sklavenrasse von Cthol Murgos eng miteinander verwandt sind und offenbar in ständiger Verbindung miteinander stehen. Das ist nur eine weitere Bestätigung.«
Die Morgensonne schien warm und strahlend, als sie das Haus verließen und in verschiedene Richtungen dahinschlenderten. Garion und Zakath hatten ihre Rüstungen und Schwerter abgelegt, allerdings trug Garion vorsorglich das Auge Aldurs in einem Gürtelbeutel bei sich. Die beiden spazierten über einen taufeuchten Rasen zu einer Gruppe größerer Gebäude nahe der Stadtmitte. »Du bist immer sehr vorsichtig mit diesem Stein, nicht wahr, Garion?« sagte Zakath.
»Vorsichtig ist vielleicht nicht das richtige Wort«, entgegnete Garion. »Weißt du, das Auge ist sehr gefährlich, und ich möchte nicht, daß es unbeabsichtigt jemandem schadet.«
»Was tut es denn?«
»Ich bin mir nicht wirklich sicher. Ich habe nie gesehen, daß es irgend jemandem etwas getan hat – außer vielleicht Torak – , aber das könnte auch das Schwert gewesen sein.«
»Und du bist der einzige auf der Welt, der das Auge in die Hand nehmen kann?«
»Wohl kaum. Eriond hat es zwei Jahre lang getragen. Er hat immer versucht, es anderen zu geben. Aber da das hauptsächlich Alorner gewesen waren, waren sie vernünftig genug, es nicht zu nehmen.« »Dann seid ihr, du und Eriond, die einzigen, die imstande sind, es zu berühren?«
»Mein Sohn kann es auch anlangen. Gleich nach seiner Geburt habe ich sein Händchen daraufgelegt. Das Auge war sehr glücklich darüber.« »Ein Stein? Glücklich?«
»Das Auge ist nicht wie andere Steine.« Garion lächelte. »Es kann hin und wieder ein wenig unüberlegt sein. Es läßt sich von seiner eigenen Begeisterung mitreißen. Ich muß mit meinen Gedanken manchmal sehr vorsichtig sein. Wenn es glaubt, daß ich mir etwas sehr wünsche, neigt es dazu, von sich aus zu handeln.« Er lachte. »Einmal grübelte ich über die Zeit nach, als Torak die Welt gespalten hat, und es begann mir zu erklären, wie ich sie wieder zusammenfügen könnte.« »Das ist doch nicht dein Ernst!«
»O doch! Das Wort ›unmöglich‹ gibt es für das Auge nicht. Wenn ich es beispielsweise wirklich wollte, könnte es wahrscheinlich meinen Namen mit Sternen an den Himmel schreiben.« Er spürte ein leichtes Zucken am Gürtel. »Hör auf!« sagte er scharf zu dem Auge. »Das war nur ein Beispiel, kein Wunsch.« Zakath starrte ihn an.
»Würde das nicht verrückt aussehen, am Nachthimmel ›Belgarion‹ von einem Horizont zum anderen zu lesen?«
»Weißt du was, Garion«, sagte Zakath. »Ich hatte immer geglaubt, daß wir, du und ich, eines Tages gegeneinander Krieg führen würden. Wärst du sehr enttäuscht, wenn ich mich da zurückhalte?« »Ich glaube, ich käme darüber hinweg.« Garion grinste ihn an.
»Wir könnten auch ohne dich anfangen. Hin und wieder kannst du ja mal vorbeikommen, um zu sehen, wie die Dinge laufen. Dann kann Ce'Nedra dir ein Abendessen bereiten. Sie ist natürlich keine sehr gute Köchin. Aber wir müssen schließlich alle Opfer bringen.« Sie blickten einander an und fingen schallend zu lachen an. Was in Rak Urga mit Urgit begonnen hatte, war nun zu Ende geführt. Garion konnte sich zufrieden sagen, daß er die ersten Schritte getan hatte, den fünf Jahrtausende alten Haß zwischen Alornern und Angarakanern zu beenden.
Die Dalaser beachteten sie kaum, während sie auf Marmorstraßen, vorbei an schillernden Springbrunnen, dahinspazierten. Die Bewohner Kells gingen ihren Beschäftigungen bedächtig nach, und ihre Blicke schienen nach innen gekehrt zu sein. Sie redeten kaum etwas, was nicht mehr verwunderlich schien, nun, da die Gefährten wußten,
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