Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
zurückzukehren, hatte sie die meisten Besitztümer fortgegeben – Haus und Laden eingeschlossen. Abgesehen von ihren Kleidern hatte sie lediglich einige Erinnerungsstücke an ihre Mutter eingepackt.
Sie hatte sich von allen verabschiedet. Obschon sie die meisten Einwohner des Dorfes mochte, war niemand darunter, der ihr besonders ans Herz gewachsen wäre. Gesetzt den Fall, dass Grace nicht eingewilligt hätte, aus Gardener fortzuziehen, wäre sie die einzige Person gewesen, die Katey schmerzlich vermisst hätte.
Judith hatte sich die ganze Zeit über still verhalten, aber wie es nun einmal die Art von Kindern war, wurde sie plötzlich hellhörig und fragte: »Sie wollen England schon wieder verlassen?«
»Ja, dein schönes Land war nur der Auftakt für eine große Reise, die ich plane. Unser nächstes Ziel heißt Frankreich. Aber vielleicht sollten wir erst übersetzen und uns dann eine Kutsche zulegen. Damit ersparen wir uns das Verschiffen.«
»Tun Sie das bloß nicht«, warnte Judith sie. »Französische Kutschen sehen schmuck aus, sind aber nicht sonderlich bequem. Bei längeren Reisen sollten Sie daher lieber auf eine englische Kutsche zurückgreifen.«
»Wie kommt es eigentlich, dass du über derartige Dinge Bescheid weißt, Kindchen?«, fragte Grace mit einem Glucksen.
»Meine Mutter hat einst eine französische Kutsche bestellt, fand sie aber bereits nach einer Woche so ungemütlich, dass sie sie meinem Onkel Jason geschenkt hat, der sie als dekoratives Element für seinen Wintergarten umfunktioniert hat. Mein Vater hat sich vor Lachen gebogen und meine Mutter war fuchsteufelswild.«
Katey schenkte dem Mädchen ein Lächeln. »Ich bezweifle, dass alle französischen Kutschen so unbequem sind wie die deiner Mutter, danke dir aber dennoch für die Warnung.«
Bei dem Wort Warnung hatte das Kind eine Eingebung, die sie sofort loswerden wollte: »Die Frau könnte bewaffnet sein.«
Schlagartig nahm Kateys Gesicht wieder ernste Züge an. »Ich weiß. Aber es dauert nicht mehr lange, da werde ich ebenfalls im Besitz einer Waffe sein. Schon in der nächstgrößeren Stadt werde ich mich mit einer Waffe eindecken. Außerdem schätze ich, dass du einen Bärenhunger hast. Bleibt zu hoffen, dass unsere Verfolgerin in eine andere Richtung fährt, sodass wir in Ruhe eine Frühstückspause einlegen können.«
Wie Katey es vorgeschlagen hatte, legten sie in der nächsten Stadt eine Rast ein. Als Katey mit einer kleinen Waffe in ihrem Ridikül zurückkehrte, wusste sie bereits, dass sie beobachtet wurden.
»Sie hält sich für besonders schlau und denkt, wir wüssten nicht, dass sie hier ist«, sagte Grace, als Katey zu ihr und Judith stieß, die in der Kutsche geblieben waren. »Sieht aus, als würden wir sie nicht so schnell wieder loswerden.«
Katey nahm ihren Platz ein, ehe sie den Blick zu einer alten Kutsche auf der anderen Straßenseite schweifen ließ, hinter der eine Frau stand, die auffällig unauffällig zu ihnen herüberblickte. »Vielleicht sollten wir die Konfrontation suchen.«
»Tun Sie das nicht«, warf Judith alarmiert ein. »Ich würde es nicht verwinden, wenn Ihnen meinetwegen etwas geschähe.«
Katey dachte einen Augenblick lang über die Worte des Mädchens nach, ehe sie sagte: »Ich will nur vorbeugen, dass sie uns abermals auf verlassener Straße anhält und dann womöglich zu drastischeren Mitteln greift.« Der Gedanke, die eben erst erworbene Waffe so schnell einsetzen zu müssen, bereitete ihr leichte Bauchschmerzen. »Ich möchte mir lieber nicht vorstellen, wie wir uns eine halsbrecherische Jagd durch Londons Straßen liefern.«
»Und ob Sie sich das vorstellen wollen«, murmelte Grace.
Katey ignorierte die Magd und fuhr unbehelligt fort: »Dieses närrische Frauenzimmer scheint uns nicht zu glauben. Als ob sie ahnt, dass du bei uns bist und wir dich zu deiner Familie zurückbringen wollen. Vielleicht wäre es das Beste, sie abzuschütteln, indem wir nicht auf dem schnellsten Wege nach London reisen.«
»Soll das heißen, Sie wollen ein Zimmer anmieten und die Sache aussitzen?«, mutmaßte Grace.
»Keine schlechte Idee, aber wie wollen wir es anstellen, Judith ungesehen in den Gasthof zu schaffen, wo diese impertinente Person uns keine Sekunde aus den Augen lässt? Wenn wir jedoch umkehren und in die entgegengesetzte Richtung fahren …«
»Zurück in den Norden?«, unterbrach Grace sie.
»Ja. Wir könnten wieder nach Northampton, das wäre nicht allzu weit. Sobald sie sieht,
Weitere Kostenlose Bücher