Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
vorgeführt.
Jetzt aber, wo sie wusste, dass Judiths Familie von seinem Fauxpas nichts ahnte, war es so vielleicht das Beste. Vermutlich ging er davon aus, dass die Malorys nie ihre Bekanntschaft machen würden, und hielt es aus dem Grunde für nicht angebracht, ein Geständnis abzulegen. Katey kam mit sich selbst überein, dass sie den Abend nicht ruinieren wollte, indem sie seine lächerlichen Anschuldigungen auf den Tisch brachte.
Wenngleich Katey Jeremy ein winziges bisschen grollte, weil er nicht geblieben war, fand sie ihn äußerst attraktiv. Jetzt war ihr auch klar, warum sie ihn und Sir Anthony in der Hotellobby verwechselt hatte. Judiths Vater hatte so viel Ähnlichkeit mit dem jüngeren Malory, dass er glatt als sein Sohn oder jüngerer Bruder durchging.
Als Katey Jeremys Angetraute Danny in Augenschein nahm, stockte ihr der Atem. Die Blondine trug ein smaragdgrünes Gewand und hatte einen modischen Kurzhaarschnitt, der ihre fein geschnittenen Gesichtszüge besonders hervorhob. Katey kam zu der Überzeugung, noch nie einer so aparten Frau begegnet zu sein. Als Judith ihr wenig später ihren Cousin Derek und seine Gemahlin Kelsey vorstellte, war sie gezwungen, ihre Meinung zu revidieren. Sie war fassungslos darüber, dass es in einer einzigen Familie so viele gut aussehende Menschen gab. Ganz zu schweigen davon, dass sie allesamt in atemberaubenden Roben steckten. Danny hatte sich für Seide, Kelsey und Charlotte für dunklen Samt entschieden, und selbst die Männer bestachen durch Gehröcke aus feinstem Tuch und Halstücher aus Spitze – und das, obwohl es sich lediglich um ein familiäres Treffen handelte. Es war einzig der Warmherzigkeit und der Freundlichkeit der Gäste geschuldet, dass sie sich in ihrem schlichten Baumwollkleid, das zwischen all den edlen Gewändern und den funkelnden Juwelen vollkommen deplatziert wirkte, nicht unwohl fühlte. Allerdings kam Katey erst viel später zu dieser Erkenntnis, weil Judith ihr kaum Zeit zum Luftholen ließ.
»Ihr Sohn Brandon ist der Herzog von Wrighton, müssen Sie wissen«, erklärte Judith, nachdem sie Katey von Derek und seiner bezaubernden Gattin fortgezogen hatte, wenngleich Katey mit der Information wenig bis gar nichts anfangen konnte.
Ihr Hauslehrer war amerikanischer Herkunft gewesen und hatte es, aus welchem Grunde auch immer, versäumt, ihr die Strukturen der englischen Gesellschaft näherzubringen. Ein Lord war in ihren Augen ein Lord und nicht mehr.
»Wetten, Sie wären sprachlos, wenn ich Ihnen erzählte, dass Derek seine Angetraute in einem Bordell kennengelernt hat?«, raunte Judith ihr zu. »Aber es ist anders, als Sie jetzt denken. Es ist eine ziemlich interessante Geschichte, warum sie dort gelandet ist.«
Katey ahnte, worauf das Mädchen hinauswollte – nein, genau genommen hatte sie keinen blassen Schimmer. Die Geheimnisse, die Judith zu berichten wusste, waren allesamt skandalös. Ihrer Meinung nach sollte ein Kind in Judiths Alter über derartige Dinge noch nicht Bescheid wissen. Diebe und Bordelle, ganz zu schweigen von den Piraten, die sie zwischendurch immer wieder erwähnte … Da es eher unwahrscheinlich war, dass die Öffentlichkeit über dergleichen Bescheid wusste, fragte Katey sich, warum Judith ausgerechnet sie davon in Kenntnis setzte.
»Denken Sie jetzt bloß nicht, dass ich das jedem erzählen würde«, sagte Judith, als könne sie Gedanken lesen. »Das tue ich nur, weil Sie etwas ganz Besonderes sind.«
Kateys Wangen fingen Feuer. Das war mit Abstand das schönste Kompliment, das ihr je gemacht worden war. Nichtsdestotrotz wunderte sie sich zum wiederholten Mal über das ausgeprägte Wahrnehmungsvermögen dieses Kindes.
»Was redest du denn da? Ich bin ein ganz normaler Mensch«, antwortete Katey verlegen.
Judith zuckte die Achseln. »Es mag seltsam klingen, aber ich habe das Gefühl, als würde ich Sie schon mein halbes Leben kennen.«
Das war in der Tat eigenartig, zumal Katey ebenfalls das Gefühl hatte, es gebe ein unsichtbares Band zwischen ihr und dem Mädchen. Vielleicht, weil Judiths Freundlichkeit und Neugierde sie an ihre eigene Jugend erinnerten.
»Das rührt vermutlich daher, dass wir uns bei unserem ersten Treffen und später in der Kutsche so viel voneinander erzählt haben«, mutmaßte Judith. »Ich habe mich noch nie mit jemandem, der nicht zur Familie gehört, so viel und gut unterhalten wie mit Ihnen.«
Katey lächelte und ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Und das, obwohl du
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