Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
meisten Menschen begnügen sich mit dem Kontinent, aber Sie wollen wirklich jedes Land der Erde besuchen?«
»Warum nicht?«, hielt Katey dagegen. »Da ich in einem kleinen Provinznest aufgewachsen bin, träume ich schon mein ganzes Leben davon, etwas zu erleben. Und jetzt, wo mich nichts mehr zurückhält, möchte ich gern den Rest der Welt erkunden.«
»Mach nicht so ein überraschtes Gesicht«, sagte Anthony zu seinem Neffen. »Jeder hat andere Ziele. Und Katey hat sich eben ein sehr großes Ziel gesteckt.«
»Aber um die Welt zu reisen, dauert doch … ewig«, warf Jeremy ein.
Katey lachte. »So lange nun auch wieder nicht, selbst wenn ich streng genommen schon viel zu viel Zeit verloren habe. Ich bin bereits vor einem Monat aus Amerika hergekommen und habe bislang nur England und Schottland gesehen. Dadurch ist mir bewusst geworden, dass ich mich nicht zu lange an ein und demselben Ort aufhalten darf. Sie glauben gar nicht, wie froh ich bin, für nächste Woche eine Überfahrt ergattert zu haben. Obwohl ich eigentlich lieber morgen und nicht erst nächste Woche abreisen würde.«
»Dürfen wir Sie unter den Umständen einladen, die verbleibende Zeit bei uns zu verbringen?«, griff Roslynn ihren Vorschlag noch einmal auf. »Das ist das Mindeste, das wir tun können, nachdem Sie Judy befreit haben.«
»Sag ja, Katey, bitte«, fügte Judith flehend hinzu.
»Das ist sehr freundlich, aber wenn der Besuch bei meinen Verwandten so verläuft, wie ich es mir erhoffe, werde ich die letzten Tage, die ich hier in England bin, bei ihnen verbringen. Außerdem müssen Sie sich nicht bei mir bedanken, weil ich Judith geholfen habe. Für mich war es eine Art Abenteuer. Im Grunde müsste ich mich bei Judith bedanken und nicht umgekehrt.«
Nach dem Essen wechselte die kleine Abendgesellschaft in einen anderen Salon. Katey, die sich noch ein wenig frisch gemacht hatte, stieß als Letzte zu ihnen. Wieder war sie tief beeindruckt von der opulenten Einrichtung. Ob die Millards, die ebenfalls dem englischen Adel angehörten, ähnlich vornehm wohnten? War es möglich, dass ihre Mutter Reichtum gegen Liebe eingetauscht hatte?
Einige Augenblicke stand sie einfach nur da und beobachtete die Malorys, wie sie miteinander redeten und lachten. Welch eine wunderbare Familie. Sie konnten von Glück reden, dass sie einander hatten. Und dann passierte es doch, dass Katey sich ein wenig fehl am Platz fühlte und sich wünschte, ihre Mutter würde noch leben.
Grace hatte recht, sie musste den Millards einen Besuch abstatten, ehe sie dem Heimatland ihrer Mutter für immer und ewig den Rücken kehrte. Andernfalls würde sie sich bis an ihr Lebensende Vorwürfe machen. Vielleicht gab es eine Tante oder Nichte, die Adeline vom Äußeren oder vom Wesen her ähnelte. In dem Moment spürte sie, wie groß ihr Wunsch war, jemandem zu begegnen, der sie an ihre Mutter erinnerte.
»Wer sind Sie?«, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihrem Rücken.
Katey drehte sich herum, machtlos gegen die Woge der Angst, die sie beim Anblick des großen blonden Mannes, der sie mit durchdringendem Blick beäugte, mitriss und unter sich begrub. Mit seinem Rüschenhemd, das am Kragen geöffnet war, den eng anliegenden Beinkleidern, den kniehohen Stiefeln und dem schulterlangen Haar wirkte er in dem stilvollen Ambiente der Malorys noch deplatzierter als sie. Aber das war nicht der einzige Grund, warum ihr plötzlich der Atem stockte. Diesem Mann haftete etwas unterschwellig Gefährliches an. So, als wäre er … ein … verflixt und zugenäht, woran erinnerte sie ihn bloß? Als etwas Goldenes an seinem Ohr aufblitzte, fiel es ihr ein. Er sah aus wie ein Pirat!
Kapitel 17
»Beim Allmächtigen, James, hättest du uns nicht vorwarnen können?«, begrüßte Anthony den Neuankömmling. »Seit wann bist du wieder in der Stadt?«
»Seit heute Nachmittag.«
Und dann geschah eine Menge auf einmal. Jeremy machte einen Satz durch den Raum, schloss den hochgewachsenen blonden Mann in die Arme und drückte ihn. Ein Mann von weniger kräftiger Statur wäre mit Sicherheit nach hinten umgefallen. Ein Glück, dass es nicht dazu kam, denn er war nicht allein. Hinter ihm betraten gerade eine Frau und ein Kind den Salon.
Katey sah zu, dass sie Platz machte. Obwohl der fremde Mann etwas Bedrohliches verströmte, erkannte sie schnell, dass er eine raue Schale, aber einen guten Kern hatte. Schnell wurde ihr klar, dass es sich um ein weiteres Familienmitglied handelte. Jetzt
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