Malory
hatte ja gesagt, daß sie, um Warren zu erobern, sogar bereit war, nach Amerika zu reisen. Wirklich geplant aber hatte sie es nicht.
Ihr Mißmut wurde im Laufe des Tages immer größer und verwandelte sich bis zum Abend in regelrechte Niedergeschla-genheit. Immer wieder preßte Amy das Ohr an die rauhe Wand konnte aber nichts hören, vielleicht weil Warren selbst an der Wand lauschte. Schließlich gab sie mit einem zärtlich geflüsterten »Warren« auf.
Er hatte es gehört. Seine Stirn sank gegen die Wand. Er biß die Zähne zusammen. Er durfte nicht antworten. Es würde etwas in Gang setzen, das er nicht mehr aufhalten konnte. Amy würde jeden Tag mit ihm sprechen wollen. Und sie würde wieder mit ihren erotischen Anspielungen beginnen – noch unge-hemmter durch die Wand, die sie trennte – und ihn um den Verstand bringen.
Aber dieser klagende Ton in ihrer Stimme traf ihn mitten ins Herz. »Amy«, erwiderte er schließlich.
Doch sie hatte sich schon von der Wand entfernt, so daß sie es nicht mehr hören konnte.
Kapitel 33
Zwei lange, nervenaufreibende Wochen waren vergangen, und immer noch wollte Warren keinen Kontakt durch die Kabinenwand zu Amy aufnehmen, noch wollte er sie sehen, nicht einmal für ein paar Minuten. Man hatte ihr inzwischen Kleider zum Wechseln gebracht, einen schwarzen Kasack und lange Hosen, wie Taishi sie trug, die ihr ausgezeichnet standen und jede Wölbung ihres Körpers betonten. Doch nur Taishi sah sie darin, und so war es ohne Belang. Auch einen Kamm hatte sie bekommen, aber da sie keinen Spiegel besaß, trug sie ihr Haar entweder offen oder zu einem Zopf geflochten.
In der vergangenen Woche hatte man ihr zwei zusätzliche Eimer mit Wasser gegeben, damit sie sich und ihre Kleider waschen konnte, und für heute hatte man ihr ein weiteres
»Bad« versprochen. Außerdem durfte sie sich jetzt jeden zweiten Tag für eine knappe Stunde an Deck aufhalten. Dabei trug sie ihr blaugrünes Kleid, darüber ihr Jäckchen, das sie bis zum Hals zugeknöpft hatte. Niemand nahm indes Notiz von ihr.
Die Hälfte der Besatzung bestand aus Chinesen, und die fanden sie wohl häßlich wegen ihrer runden Augen, auch wenn sie ihre lange schwarze Haarmähne bewunderten. Die restlichen Männer an Bord stammten, wie der Kapitän und das Schiff, aus Portugal. Die englische Sprache beherrschten sie nicht.
Sie hatte Warrens Schiff, die Nereus, vor einem halben Jahr, am Tag, als er nach Amerika zurückgereist war, einmal gesehen. Dieses Schiff hier war nicht halb so luxuriös, aber sie genoß ihren kurzen Aufenthalt an Deck und freute sich jedesmal darauf, freilich nicht wegen der frischen Luft, sondern weil sie hoffte, Warren irgendwo zu sehen. Doch das war natürlich nie der Fall. Sicherlich hatte er seinen Freund Taishi beauftragt, ihm zu melden, wann sie nach draußen durfte, um genau dann in seiner Kabine zu bleiben.
Sie hatte eigentlich alles bekommen, wonach sie verlangt hatte – nur das eine nicht, das sie am meisten ersehnte, und es sah so aus, als würde sie es vielleicht nie bekommen. Warren war offensichtlich entschlossen, ihr auf der ganzen Fahrt nach Amerika auszuweichen, die Vase auszuhändigen und Amy dann – alleine – ins nächstbeste Schiff nach England zu ver-frachten. Das war ein sicherer Plan, der ihm garantierte, daß er sein Leben wie früher weiterführen konnte, und Amy wußte nicht, wie sie seine Pläne durchkreuzen konnte, außer vielleicht mit aufreizenden Worten, die ihn veranlassen könnten, die Wand zwischen ihren Kabinen niederzureißen. Doch dazu fehlte ihr die Erfahrung, und sie fürchtete, sich lächerlich zu machen, vor allem durch diese verdammte Wand hindurch.
Was diese Wand betraf, an ihr hatte sich Amy beim vielen Lauschen die Ohren platt gedrückt. Warren ließ sich von Taishi dessen merkwürdige Kampfart beibringen. Dabei mußte er eine ganze Menge einstecken, aber Amy hatte das Gefühl, daß es ihm ungeheuren Spaß machte. Bei jedem Stöhnen von Warren mußte sie selbst die Zähne zusammenbeißen.
Heute nun hatte sie ihren Freigang und durfte baden; eigentlich ein Grund, sich zu freuen oder wenigstens ein bißchen zufrieden zu sein. Aber während sich am Horizont Gewitter-wolken zusammenballten, braute sich auch in ihrem Innern ein Gewitter zusammen, das sich diesmal nicht besänftigen lassen würde.
Sie hatte sich in der letzten Zeit als Geisel vorbildlich verhalten und Taishi keinen Anlaß zur Klage gegeben. Aber nur zu erdulden und nichts zu unternehmen
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