Malory
aufreizend gekleidet hatte. Er hätte keine Chance gehabt, ihr zu widerstehen, wenn sie sich ihm mit diesem Dekollete genähert hätte. Aber genau das war ja wohl auch die Absicht dieses kleinen Luders gewesen.
Warren stöhnte. Diese Sache konnte nicht gutgehen. Amy Malory einen Monat so nahe und doch unerreichbar neben sich zu wissen, würde ihn genauso zur Verzweiflung bringen, als wenn er mit ihr in derselben Kabine eingesperrt wäre. Er mußte sich Zerstreuung verschaffen, sich auf dem Schiff betä-
tigen, irgend etwas tun. Ja, wenn es sein mußte, würde er sogar das Deck schrubben. Stolz spielte hier keine Rolle, wohl aber, einen klaren Kopf zu behalten.
Als Warren merkte, daß das Schiff seinen Anlegeplatz verließ, beschloß er, selbst gegen die Tür zu trommeln. Er hatte nicht damit gerechnet, daß sie so schnell auslaufen würden; Zhang mußte, sobald er Amy gefaßt hatte, alle Vorbereitungen getroffen haben. Jetzt, da jedermann zu tun hatte, war der günstigste Zeitpunkt zur Flucht. Wie schwierig dürfte es sein, denjenigen, der die Tür öffnete, zu überwältigen, Amys Tür aufzubrechen und mit ihr von Bord zu springen? Bis er sie zu Hause abgeliefert hatte, würde er ihre Gesellschaft wohl ertragen können. Er mußte jetzt schnell handeln, denn das Schiff würde bald auf hoher See sein.
Die Tür flog auf, als er eben zum Schlag ausholte. Ein Mann, nicht größer als Amy, wich beim Anblick von Warrens Faust zurück. Da er eine Schüssel mit Essen in der Hand hielt, kam Warren zu dem Schluß, daß er den unbekannten Taishi vor sich hatte.
Er senkte die Faust, um den Burschen nicht zu beunruhigen
– erst mußte er ihn in seiner Kabine haben. »Ich wollte eben an die Tür klopfen. Kommen Sie herein.«
Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Mann ihn an. »Du viel groß, Captain. Du nicht versuchen zu fliehen, okay? Taishi nicht wollen kämpfen mit Captain.«
»Bange, kleiner Mann?« fragte Warren vorsichtig, wohl wissend wie gefährlich das scheinbar Harmlose sein konnte, vor allem wenn es aus China kam. »Woll’n wir doch mal sehen.«
Warren packte Taishi am Kragen und hob ihn mit einem Arm in die Höhe. In Sekundenschnelle aber wurde ihm der Daumen derart verdreht, daß er in die Knie ging und Taishi wieder auf den Füßen stand.
»Habe es doch geahnt«, stieß Warren zwischen den Zähnen hervor. »Jetzt hast du aber dein Talent als Wächter genügend bewiesen und kannst mich wieder loslassen.«
Taishi ließ Warrens Daumen los, wich aber, noch immer mißtrauisch, zurück. Das war in Anbetracht seiner kämpferi-schen Geschicklichkeit eher ein Scherz, aber Warren sah darin einen möglichen Vorteil für sich. Taishi war von Männern seiner Größe im Kampf ausgebildet worden, und jemand so groß und kräftig wie Warren, würde ihn vermutlich einschüchtern.
Doch Warren ließ sich seine Gedanken nicht anmerken. Er hatte bereits am eigenen Leibe erfahren, daß Männer, die kleiner waren als er, ihn zu Brei schlagen konnten. Das hatte ihm schon James Malory bewiesen.
Beim Gedanken an James kam Warren auf eine Idee, der er einfach nicht widerstehen konnte. »Ich mache dir einen Vorschlag, Taishi«, sagte er, sich mühsam wieder aufrichtend.
»Ich mache dir keine Schwierigkeiten mehr, und du bringst mir dafür ein paar von deinen Kampftricks bei.«
»Damit du sie richten gegen Taishi? Du so komisch wie englische Lady, Captain.«
Als er ihn Amy erwähnen hörte, wurde er noch begieriger, mit dem kleinen Chinesen einig zu werden. Die Lektionen würden ihn, wenigstens vorübergehend auf andere Gedanken bringen und ihm einen Vorteil gegenüber James verschaffen, mit dem der Engländer nicht rechnen konnte, wenn sie das nächste Mal aufeinanderstießen. Natürlich immer vorausgesetzt, daß er, Warren, unversehrt aus diesem Schlamassel herauskam.
»Mir ist natürlich klar, daß du mir nicht alle deine Tricks beibringen wirst. Was also hättest du zu befürchten?« fragte Warren. »Ich gebe dir mein Wort, daß ich meinen Lehrer nicht angreifen werde.«
»Dann warum du wollen lernen?«
»Du hast ein besonderes Geschick, das ich gern bei einem verdammten Europäer anwenden möchte, sobald ich wieder frei bin. Denk über mein Angebot nach, Taishi, es kann nur zu deinem Vorteil sein. Lord Zhang wird mit dir zufrieden sein, und mich hältst du bei Laune. Andernfalls könnte ich versuchen, diese Wände hier zu zertrümmern oder dich mit deinem komischen Zopf zu erwürgen.«
Taishi kommentierte diese
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