Malory
entsprach ganz und gar nicht ihrem Wesen. Doch es gab nichts, was sie hätte tun können, ihre Möglichkeiten waren erschöpft, und diese Erkenntnis brachte sie an den Rand der Verzweiflung.
Sie war wütend auf Taishi, weil er sie nicht ernst nahm, wütend auf Warren, weil er so starrköpfig war, und wütend auf Zhang, weil er sie in diese mißliche Lage gebracht hatte.
Dabei hätte er sie doch freilassen können, nachdem er Warren in seine Gewalt gebracht hatte. Und überhaupt war sie es leid Warrens Schweigen und Zhangs Willkür hinzunehmen.
Als Taishi ihr das Abendessen brachte, bekam er ihren Zorn sofort zu spüren. Kaum hatte er die Tür geöffnet, riß sie ihm die Schüssel aus der Hand nahm mit zwei Fingern einen Klumpen Reis und hielt ihn sich vor den Mund.
»Ich habe keinen Hunger, Dummkopf«, gab sie ihm als Antwort auf seinen erstaunten Gesichtsausdruck. »Aber ich habe meine Waffe gefunden.«
»Du Reis auf Taishi werfen?«
Sie war nahe daran, ihn für seine brillante Schlußfolgerung tatsächlich zu bewerfen. Taishi hatte eine sonderbare Art von Humor, die nicht immer zu verstehen war und manchmal naiv wirkte. Amy aber hatte ihn immer mehr in Verdacht, daß er sich nur dumm stellte, um sie in Rage zu bringen, was ihm auch heute wieder gelang.
»Ich hätte größte Lust dazu«, sagte sie mit gedämpfter Stimme, denn sie wollte auf keinen Fall, daß Warren erfuhr, was sie im Schilde führte. »Aber da dies meine letzte Mahlzeit sein könnte, verzichte ich lieber darauf.«
»Taishi nicht lassen Miss verhungern«, sagte er stirnrun-zelnd.
»Sie würden es aber tun, wenn Zhang es befehlen würde.
Versuchen Sie nicht, es zu leugnen. Und Zhang wird es Ihnen befehlen, wenn er hört, was ich mit einem Happen Essen anstellen kann.«
»Taishi nicht verstehen.«
»Ich werde es Ihnen erklären, also passen Sie auf. Sie gehen jetzt sofort zu Ihrem Herrn und melden ihm, daß ich an meinem Reis ersticken und sterben werde, wenn er mir nicht auf der Stelle erlaubt, Captain Anderson zu sehen. Dann hat er kein Druckmittel mehr gegen Warren, um diese verdammte Vase zurückzubekommen, verstehen Sie?«
Taishi hob beschwichtigend die Hand. »Halt, Miss! Taishi finden heraus. Wieder hier sein sofort.«
Verblüfft starrte Amy auf die geschlossene Tür. Hatte es wirklich geklappt? Nahm der kleine Kerl sie endlich ernst?
Damit hatte sie gar nicht gerechnet. Und wenn nun auch Zhang sie ernst nahm und ihren Wunsch erfüllte ... Gütiger Himmel, darauf war sie gar nicht vorbereitet! Sie hatte ihr Haar nicht gekämmt, trug nicht ihr verführerisches Kleid und war obendrein ziemlich hungrig.
Amy schlang die Hälfte des Essens hinunter und griff dann rasch nach ihrem Kamm. Gut, daß sie sich so beeilte, denn Taishi ging mit seinem kleinen Problem keineswegs zu Zhang, der gerade beim Abendessen saß und dabei unter keinen Umständen gestört werden durfte.
Taishi ging lediglich nach nebenan, um sich bei Warren zu erkundigen. »Ist möglich, man ersticken an Essen? Aus Verse-hen?«
Warren saß mit dem Rücken zur Wand auf seiner Strohma-tratze und verzehrte eben sein eigenes Essen. »Du meinst, absichtlich.«
»Ja.«
»Vielleicht, wenn man versucht, es durch die Luftröhre ein-zuatmen, aber das habe ich nicht vor, falls du deswegen gekommen bist.«
Taishi gab keine Antwort und schloß die Tür wieder hinter sich. Er hatte den Auftrag, für das Wohlbefinden der beiden Gefangenen während der Überfahrt zu sorgen und sein Möglichstes dafür zu tun. Und diese Frau von einer Kabine zur nächsten zu bringen, sollte doch möglich sein. Taishi glaubte zwar, daß der Amerikaner zunächst Widerstand leisten würde, aber sicher nicht lange. Wenn er sich irrte, so mußte er eben eine Zeitlang einen wütenden Amerikaner ertragen.
Später wollte er Li Liang fragen, ob er seinen Entschluß für vernünftig hielt, aber jetzt ...
Als sich die Tür wieder öffnete, blickte Warren auf und war sprachlos, als Amy in die Kabine geschoben und die Tür hinter ihr verriegelt wurde. Großer Gott, die Begegnung mit ihr war weit schlimmer, als er es sich vorgestellt hatte. Heiße und kalte Schauer liefen ihm bei ihrem Anblick über den Rücken, wie sie dastand in diesem schwarzen Hemd und den Hosen, mit ihren bloßen Füßen und dem pechschwarzen Haar, das sich in wilden Kaskaden über ihre Schultern ergoß. Er glaubte, niemals etwas Schöneres und Begehrenswerteres gesehen zu haben – doch er konnte sie nicht haben. Er konnte sie nicht
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