Malory
wär’ und wüßte, wie er ist, sähe ich auch verdammt ängstlich aus.«
»Artie, ich glaube wirklich nicht, daß sie freiwillig mit ihm geht.«
»Was zum Teufel? Du meinst, er kidnappt sie, wo wir doch ihn kidnappen sollen?«
Kelseys Kutscher mußte mit der Kutsche wegfahren, um einem Lieferwagen Platz zu machen, deshalb stand er nicht mehr da, wo sie ihn verlassen hatte. Er hielt ein ganzes Stück weiter weg und winkte ihr zu, um sie auf sich aufmerksam zu machen. Sie ging in die Richtung, war aber in Gedanken immer noch bei der unerwarteten Begegnung mit ihrer Tante und ihrer Schwester.
Deshalb sah sie auch nicht, daß Lord Ashford auf sie zukam. Sie bemerkte ihn erst, als er ihren Arm ergriff und neben ihr herging.
»Einen Ton, meine Hübsche, und ich breche dir den Arm«, warnte er sie lächelnd.
Ob er gewußt hatte, daß sie schreien wollte? Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, als sie ihn gesehen hatte. Er zog sie die Straße entlang, aber Gott sei Dank in Richtung ihrer eigenen Kutsche. Würde ihr Kutscher merken, daß sie seine Hilfe brauchte? Oder sah es nur so aus, als habe sie einen Bekannten getroffen?
»Lassen Sie mich los«, wollte sie schreien, brachte aber nur ein furchtsames Krächzen zustande.
Und er lachte. Er lachte tatsächlich. Bei dem Geräusch gefror ihr das Blut in den Adern.
Sie
würde
trotz
seiner
Warnung
schreien
müssen,
wurde ihr klar. Was war schon ein gebrochener Arm, verglichen mit dem, zu dem er fähig war?
Er mußte jedoch gespürt haben, daß sie ihm Schwierigkeiten machen wollte, denn er brachte sie vollends zum Schweigen, indem er zu ihr sagte: »Ich habe diesen Bastard Lonny umgebracht, weil er mir eine Jungfrau versprochen hatte. Er hätte dich einfach an mich verkaufen sollen, statt dich zu versteigern. Aber ich bedaure jetzt schon, daß ich es getan habe, weil sein Bruder das Haus übernommen hat. Er ist viel rechtschaffener und erlaubt mir wahrscheinlich nicht mehr, die Huren auszu-peitschen. Na ja, das Haus hat mir sowieso nur zum Appetitanregen gedient. Um mein volles Vergnügen zu finden, mußte ich immer noch woanders hingehen, und das werde ich jetzt auch mit dir tun.«
Er sagte das alles so beiläufig, als ob er über das Wetter redete. Selbst sein leises Bedauern galt nicht dem Mann, den er umgebracht hatte, sondern der Tatsache, daß er etwas verloren hatte, an das er gewöhnt war.
Sie war so entsetzt, daß sie noch nicht einmal merkte, daß er sie vom Gehweg weg in die Straße geführt hatte, wo seine Kutsche wartete. Das merkte sie erst, als er sie hineinstieß.
Da endlich schrie sie, aber ihr Schrei wurde abrupt erstickt, als er sie in die Polster drückte.
Er hielt sie fest, bis sie keine Luft mehr bekam und vollends in Panik geriet. Wollte er sie jetzt schon umbringen? Als er ihren Kopf endlich losließ, schnappte sie nach Luft, und diesen Moment nutzte er, um ihr einen Knebel in den Mund zu schieben, bevor sie noch einmal schreien konnte.
Hatte ihr Kutscher gesehen, was passiert war? Hatte er überhaupt versucht, ihr zu helfen? Jetzt war es auf jeden Fall zu spät. Ashfords Kutsche war sofort losgefah-ren, und sie ratterten in raschem Tempo dahin.
Nicht nur der Knebel behinderte sie. Kaum hatte sie sich aufgesetzt, griff sie ihn an und versuchte, ihm mit ihren Fingernägeln das Gesicht zu zerkratzen. Doch er packte ihre Hand, bog sie hinter ihren Rücken und fesselte ihr die Hände auf dem Rücken.
Die Fesseln waren so straff, daß ihre Finger bald ge-fühllos wurden. Das Band des Knebels war genauso eng geschnürt und schnitt tief in ihre Mundwinkel ein.
Aber dies war nur das kleinere Übel, das wußte sie jetzt.
Sie wünschte, Derek hätte ihr nicht so genau geschil-dert, zu welchen Grausamkeiten dieser Mann fähig war.
Sie mußte fliehen, bevor er sie an den Ort bringen konnte, zu dem sie fuhren. Ihre Füße hatte er nicht gefesselt. Würde die Tür aufgehen, wenn sie dagegen-trat? Konnte sie herausspringen, noch bevor es ihm möglich war, sie festzuhalten? Sie war verzweifelt genug, um es zu versuchen. Wenn sie sich etwas zur Seite drehen könnte, um die Tür mit den Füßen zu erreichen ...
»Ich hätte gewartet, bis er deiner überdrüssig geworden wäre und dich weggeschickt hätte, aber so wie er dich beschützt hat, war mir klar, daß das zu lange dauern würde. Meine Geduld ist nicht endlos. Und seinetwegen kann ich dich leider jetzt auch nicht mehr weggehen lassen, meine Hübsche.«
»Er« war natürlich Derek.
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