Malory
ihrem Eintreten starrten alle Anwesenden sie an, und sie wurde äu-
ßerst verlegen, weil sie ihnen Lügen auftischen würde.
»Meine liebe Regina«, sagte Mrs. Faraday mit einem seltsam mitfühlenden Tonfall. »Wie fantastisch Sie aussehen - beachtenswert.«
Reggie spürte, daß sich in ihrer Magengrube etwas zu-sammenzog. Nein. Es war unmöglich. Nur ihr eigenes Schuldbewußtsein ließ sie glauben, sie könnten etwas von ihrem Abenteuer der letzten Nacht gehört haben.
Nicholas Eden, der Vierte Vicomte Eden von Montieth, lag ausgestreckt auf seinem breiten Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und nur ein dünnes Laken über seinem nackten Körper. Nach dem Aufwachen war er fast eine Stunde lang so liegen geblieben, und er machte nach wie vor keine Anstalten, aufzustehen und den Tag zu beginnen. Den gewohnten Morgenritt durch den Hyde Park ließ er ausfallen. Es gab nichts, was er auf der Stelle hätte erledigen müssen. Vielleicht sollte er wieder einmal einen Brief an den Earl von Penwich schreiben, in dem er ihn aufforderte, ihm bezüglich des Grundes, den er kaufen wollte, eine Antwort zukommen zu lassen, aber auch das konnte warten. Es stand ohnehin fest, daß ihn dies nur ärgern würde, denn er hatte von dem Mann noch nie ein Antwortschreiben erhalten.
Er mußte sich mit dem Leiter seiner Schiffsagentur auseinandersetzen, die in Southampton saß, da er ihn kürzlich beauftragt hatte, eine Fregatte bereitzustellen. Jetzt wollte er diese Anweisung zurückziehen. Er hatte vorgehabt, London für ein paar Monate den Rücken zu kehren und wieder in die Karibik zu segeln. Aber nach dem vergangenen Abend konnte ihn nichts auf Erden dazu bewegen, London zu verlassen.
Sie hieß Regina. Er sprach den Namen laut aus, ließ ihn genüßlich von seiner Zunge rollen. Regina. Die entzückende, hellhäutige Regina mit dem ebenholzschwar-zen Haar und den kristallklaren blauen Augen. Diese Augen! Er brauchte nur die Lider zu senken, und schon sah er sie vor sich, wie sie ihn anlächelten, wie sie lachten. Wieviel Leben in diesen Augen lag! Regina, die Schönste der Schönen, mit deren Schönheit sich niemand messen konnte.
Nicholas lachte über seine eigenen Fantasien. Percy würde sagen, er hätte sich Hals über Kopf verliebt. War es so? Nein, natürlich nicht. Aber er konnte sich nicht erinnern, je eine Frau so sehr begehrt zu haben wie jetzt Regina Ashton.
Er seufzte. Tante Ellie würde ihm sagen, er sollte das Mädchen heiraten und mit ihm glücklich werden. Seit dem Tod seines Vaters war sie die einzige, die sich auch nur noch irgend etwas aus Nicholas machte. Doch, vielleicht seine Großmutter, vielleicht aber auch nicht. Bei Rebecca, der alten Tyrannin, war das schwer zu beurteilen.
Und dann war da natürlich auch noch seine ›Mutter‹.
Sie war der letzte Mensch auf Erden, der ihm Glück ge-wünscht hätte. An ihr lag es, daß er Regina oder irgendein anderes Mädchen aus einer guten Familie nicht heiraten konnte - oder wollte. Er würde überhaupt nicht heiraten, oder zumindest nicht, solange die Frau, die allgemein als seine Mutter galt, noch am Leben war. Gemeinsam mit ihr würde auch die Drohung sterben, die sie wie ein Damoklesschwert über ihn hielt.
Nicholas schlug das Laken zurück und richtete sich auf.
Der Gedanke an die verwitwete Gräfin machte seine ge-nüßliche Idylle zunichte. An ihr lag es, daß er nur sehr selten zu Hause war, auf seinem Landsitz in Hampshire, dem Gut Silverley. Und doch liebte er Silverley und vermißte es so sehr, daß es ihn erbitterte. Dennoch war er nur zu den Zeiten, zu denen die Gräfin abwesend war, bereit, die Gegend aufzusuchen. Sie lebte fast das ganze Jahr dort, und das nur, um Nicholas von seinem Landsitz fernzuhalten.
Er läutete nach Harris, seinem Kammerdiener, und wurde darüber unterrichtet, daß die Lords Alden und Malory ihn im Frühstückszimmer erwarteten. Er dachte nicht weiter darüber nach, da diese beiden Freunde oft ohne vorherige Anmeldung vorbeikamen.
Als er sich kurz darauf bei ihnen einfand, saß Derek Malory am Tisch, und vor ihm stand ein großer Teller, der bis zum Rand gefüllt war. Percy stand da und trank Kaffee.
Derek begrüßte ihn fröhlich, ehe er sich wieder darauf ver-legte, das junge Dienstmädchen zu necken. Percy winkte Nicholas mit einem verschwörerischen Grinsen zu sich.
»Ich weiß, wer das kleine Vögelchen ist, das du letzte Nacht in dein Nest geholt hast«, flüsterte Percy, dann deutete er mit einer
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