Malory
bis ihr klar wurde, daß er sie losgelassen hatte. Dann drehte sie sich um und ging auf die Tür zu. Sie spürte den Wunsch, hinter ihm herzu-laufen, aber sie kämpfte dagegen an. Leicht war es nicht.
Ihr Herz klopfte wie rasend, und ihre Knie waren weich.
Reiß dich zusammen, du dumme Gans, schalt sie sich. Das war ja schließlich nicht dein erster Kuß. Aber so, o nein, so war es noch nie!
Reggie wartete, bis Nicholas in seine Kutsche gestiegen war, und erst dann wandte sie sich widerstrebend ab, öffnete die Tür und trat ins Haus. Der Eingang und der Korridor waren hell erleuchtet und zum Glück leer. Die Tür zu Tonys Bibliothek, die ihm gleichzeitig als Arbeitszimmer diente, stand offen, und ein heller Lichtschein strömte heraus. Sie ging langsam darauf zu und hoffte, Tony würde dasein und nicht ganz London nach ihr absuchen.
Er saß auch wirklich an seinem Schreibtisch, den Kopf in die Hände gestützt, seine Finger hatten sich in sein dichtes schwarzes Haar gegraben, als hätte er versucht, es sich auszureißen. Neben ihm standen eine Cognac-Karaffe und ein Glas.
Als sie ihn so bekümmert dasitzen sah, faßte sich Reggie sofort wieder. Ihre Schuldgefühle halfen ihr, sich zu-sammenzureißen. Während sie soviel Spaß gehabt hatte wie in ihrem ganzen Leben noch nicht, war der Mensch, aus dem sie sich mehr als aus allen anderen auf Erden machte, vor Sorge krank gewesen. Und sie war noch nicht einmal zu ihm zurückgeeilt. Sie hatte sich Zeit gelassen und jede einzelne Sekunde in Nicholas' Gesellschaft genossen. Wie hatte sie nur so egoistisch sein können? »Tony?«
Er blickte schockiert auf. Dann spiegelte sein gutge-schnittenes Gesicht erst Überraschung und schließlich Erleichterung wider. Er stürzte auf sie zu, zog sie in seine Anne und drückte sie so fest an sich, daß sie glaubte, er würde ihr die Rippen brechen. »Meine Güte, Reggie, ich habe mich fast zu Tode geängstigt. So schlecht ist es mir nicht mehr gegangen, seit James dich damals mitgenommen hat und - aber vergessen wir das jetzt.« Er hielt sie auf Armeslänge von sich, um sie genauer anzusehen.
»Alles in Ordnung? Oder ist dir etwas zugestoßen?«
»Mir geht es gut, Tony, wirklich.«
Sie sah auch gut aus. Das Kleid nicht zerrissen oder zerknittert, die Frisur intakt, nicht ein Löckchen, das sich gelöst hatte. Aber sie war geschlagene drei Stunden fort gewesen, und die Dinge, die ihr hätten zustoßen können ... Er hatte sie sich alle ausgemalt.
»Morgen früh bringe ich den Kerl um, sowie ich erst herausgefunden habe, wo er wohnt!«
Daher hatte also niemand an die Tür gehämmert, dachte Reggie.
»Es war absolut unschuldig, Tony«, begann sie. »Ein Irrtum...«
»Ich weiß, daß es ein Irrtum war, Reggie. Dieser Idiot von einem Kutscher, mit dem du gekommen bist, hat es mir versichert. Er hat darauf beharrt, daß Montieth dich zurückbringt, daß er und Lady Eddington - äh - daß sie -
na ja, du weißt ja sicher, was ich meine. Ach, zum Teufel!«
»Ja.« Reggie lächelte über seine Verlegenheit. »Ich weiß genau, was du meinst.« Dann fügte sie hastig hinzu. »Der arme Mann hat geglaubt, daß du und seine...«
»Sprich das nicht aus! Und eine Entschuldigung ist das noch lange nicht!«
»Kannst du dir sein Gesicht vorstellen, Tony, als ihm klarwurde, daß er die falsche Dame erwischt hatte?«
fragte Reggie kichernd. »Oh, ich wünschte, ich hätte ihn selbst sehen können!«
Anthony legte die Stirn in Falten. »Und wie kommt es, daß du ihn nicht sehen konntest?«
»Ich war nicht dabei. Er hat mich in seinem Haus gelassen und ist zu dem Ball gegangen. Verstehst du, er wollte, daß Lady Eddington den Ball verpaßt. Du kannst dir sicher denken, wie schockiert er war, als er sie dort gesehen hat. Er wußte nicht, wen zum Teufel er in seinem Haus eingeschlossen hat.«
»Er hat dich in seinem Haus eingeschlossen?«
»Ja, aber ich hatte es sehr bequem«, versicherte sie eilig.
»Du siehst also, daß ich nicht die ganze Zeit mit ihm zusammen war - wir haben uns sogar nur kurz gesehen. Es ist nichts Böses geschehen, und er hat mich heil und gesund hierhergebracht.«
»Ich kann einfach nicht glauben, daß du ihn auch noch in Schutz nimmst. Wenn ich gewußt hätte, wo er wohnt, wäre er jetzt schon tot. Der dämliche Kutscher wußte es nicht. Ich habe einen Mann losgeschickt, damit er die Clubs abklappert und Erkundigungen einzieht, aber wegen dieses verfluchten Balls waren sämtliche Clubs so gut wie menschenleer.
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