Malory
Als der Mann zurückkam, um mir zu berichten, daß er nichts in Erfahrung bringen konnte, war ich schon fast so weit, selbst zu den Shepfords zu rasen und die Adresse dieses Halunken ausfindig zu machen.«
»Dann hätte Onkel Edward erfahren, daß ich nicht bei dir bin, und die Hölle wäre los gewesen«, beendete sie seinen Gedankengang. »Zum Glück hast du das nicht getan.
So weiß niemand, daß ich nicht die ganze Zeit hier bei dir war. Jetzt müssen wir nur noch überlegen, ob ich hierbleibe oder ob ich wieder nach Hause fahre. Was schlägst du vor?«
»O nein, Mädchen, so läuft das nicht.« Er durchschaute ihre Intrigen augenblicklich. »Du bringst mich nicht dazu, den ganzen Vorfall einfach zu vergessen.«
»Wenn du ihn nicht vergißt, ist mein Ruf ruiniert«, sagte sie ernst. »Kein Mensch wird nämlich glauben, daß ich drei Stunden in Lord Montieths Haus verbracht und meine Tugend gerettet habe. Im übrigen bin ich unbeschadet davongekommen.«
Er starrte sie an. »Dann bringe ich ihn eben nicht um.
Aber ich werde ihm eine Lektion erteilen, die er wahrhaft verdient hat.«
»Es ist doch nichts passiert, Tony!« beharrte sie. »Und -
und ich will nicht, daß du ihm etwas antust.«
»Wenn du das nicht willst, dann wirst du mir jetzt bei Gott sagen, warum nicht!«
»Er gefällt mir«, antwortete sie schlicht. »Weil er mich an dich erinnert.«
Lord Malorys Gesicht lief rot an. »Und ich werde ihn doch umbringen!«
»Hör auf mit dem Unsinn!« schrie sie. »Du hättest dich einer Frau niemals gegen ihren Willen aufgezwungen, und das hat er auch nicht getan.«
»Hat er dich geküßt?«
»Ja, also...«
»Natürlich hat er es getan. Man müßte ein Dummkopf sein, um eine solche Chance zu versäumen, und er ist kein Dummkopf. Ich werde...«
»Nein, das wirst du nicht!« schrie sie wieder. »Du wirst so tun, als hättest du seinen Namen nie erfahren, und wenn du ihn triffst, wirst du ihn nicht beachten. Mir zu-liebe, Tony - weil ich nicht weiß, ob ich dir je verzeihen könnte, wenn du Nicholas Eden etwas antun würdest. Ich habe heute einen vergnüglichen Abend erlebt, vergnüglicher als seit langem.« Nachdem sie schon soviel gesagt hatte, flehte sie ihn an: »Bitte, Onkel Tony.«
Er wollte etwas sagen, aber dann preßte er die Lippen aufeinander, zog eine finstere Miene, seufzte tief und sagte schließlich mit sanfter Stimme: »Er ist nichts für dich, Kätzchen. Das weißt du doch, oder nicht?«
»Ja, das weiß ich. Aber wenn er nicht einen gar so schlechten Ruf hätte, würde ich ihn mir angeln.«
»Nur über meine Leiche.«
Sie lächelte ihn an. »Irgendwie war mir klar, daß du das sagen würdest.«
7.
Reggie saß an ihrer Frisierkommode und sah verträumt den kleinen roten Fleck auf ihrem Hals an. Ein Knutschfleck von Nicholas Eden. Sie legte einen Finger auf die Stelle. Es war ein Glück, daß sie ihren Umhang nicht ausgezogen hatte, als sie am Vorabend in Tonys Haus zurückgekehrt war. So, wie die Dinge standen, würde sie einen Schal tragen müssen, bis die Rötung nachgelassen hatte.
Es war am späten Vormittag, und sie hatte wesentlich länger geschlafen als sonst. Ihre Vettern und Kusinen frühstückten sicher schon, und wenn sie noch zu Hause waren, mußte sie ihnen die Geschichte vorsetzen, die Tony und sie sich letzte Nacht zurechtgelegt hatten.
Tony hatte seinem Bruder Edward eine Nachricht zukommen lassen, ehe Reggie nach Hause gefahren war, und er hatte ihm ganz schlicht mitgeteilt, sie würde doch nicht zu dem Ball erscheinen. Nichts weiter, ohne jede Angabe von Gründen. Die Geschichte, die sie sich ausgedacht hatten, war die, daß Tony bei ihrer Ankunft in seinem Haus nicht dagewesen war. Daher hatte sie stundenlang auf ihn gewartet. Als er schließlich heimgekommen war, hatten sie sich miteinander unterhalten. Und da es hinterher sehr spät gewesen war, hatte sie auf den Ball verzichtet. Onkel Edwards Dienstboten würden bestätigen, daß Tony sie nach Hause gebracht hatte und daß sie gleich zu Bett gegangen war.
Reggie seufzte und läutete nach Meg. Dann suchte sie eilig in ihrer Kommode einen Schal. Meg sollte ihren Knutschfleck auch nicht sehen.
Als sie eine halbe Stunde später nach unten ging, fand sie Tante Charlotte und ihre Kusinen Clare und Diana vor, die Besucherinnen empfingen und sich mit ihnen im Salon aufhielten - mit den Damen Braddock, Mutter und Töchter, mit Mrs. Faraday und ihrer Schwester Jane und mit zwei Damen, die Reggie nicht kannte. Bei
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