Malory
sind.
Wenn sie hier bei ihnen war, hat sie brillant gelernt, war ein Engel in ihren Anstandsformen und alles, was dazu gehört. Natürlich hatten wir immer noch unseren Spaß, wenn sie nach Haverston kam. Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft wir vom Alten ausgeschimpft wurden. Und das Schlimmste hat nie sie abgekriegt, immer ich. Mit vierzehn war sie dann nicht mehr so ein Wildfang. Damals führte sie schon den Haushalt, weil unsere Mutter kaum da war.«
»Sie hat also einen Haushalt geführt, in einem anderen Haushalt mehr dazugelernt - und was, das wüßte ich wirklich gern, hat sie in dem dritten Haushalt gelernt?«
Derek lachte über seinen gehässigen Tonfall. »Jetzt hör aber auf. Die Zeiten, die sie bei Onkel Anthony verbrachte, waren eigentlich die reinsten Ferien. Er tat alles, damit sie ihren Spaß hatte. Und wahrscheinlich hat er ihr auch erklärt, wie man mit Kerlen wie uns umgeht.« Dann fügte er ernst hinzu: »Sie alle lieben Reggie, Nick. Damit wirst du dich einfach abfinden müssen.«
»Ich habe also für den Rest meines Lebens angeheiratete Onkel am Hals, die sich in alles einmischen?« fragte Nicholas kühl.
»Ich möchte bezweifeln, daß es ganz so schlimm wird.
Schließlich hast du sie in Silverley ganz für dich allein.«
Mit diesem Gedanken brauchte sich Nicholas gar nicht erst auseinanderzusetzen. Er hatte dem Drängen ihrer Onkel zwar nachgegeben, aber nicht im entferntesten die Absicht, Regina Ashton zu heiraten. Irgendwie mußte er sie dazu bringen, die Verlobung zu lösen. Sie mochte zwar einen Vetter haben, der ein uneheliches Kind war, aber sie sollte nicht auch noch einen Ehemann bekommen, der mit dem Makel einer illegitimen Geburt behaftet war.
Derek war besser dran als Nicholas, denn er hatte in seinen dreiundzwanzig Lebensjahren von Anfang an ge-wußt, was er war, und es störte ihn nicht. Aber Nicholas hatte erst im Alter von zehn Jahren die Umstände seiner Geburt erfahren. Und vor dieser Enthüllung hatte ihm die Frau, die er für seine Mutter gehalten hatte, das Leben gerade deshalb zur Qual gemacht, weil er sie für seine Mutter hielt. Er hatte nie verstanden, warum sie ihn derart haßte, ihn schlechter als jeden Dienstboten behandelte, ihn ständig ausschalt. Sie hatte nie auch nur so getan, als könnte sie ihn leiden, nicht einmal in Anwesenheit seines Vaters. Das war mehr, als man irgendeinem Kind zumu-ten durfte.
Eines Tages, als er zehn Jahre alt war, hatte er sie in aller Unschuld ›Mutter‹ genannt, etwas, was er ohnehin selten tat, und plötzlich hatte sie ihn angeschrien. »Ich bin nicht deine Mutter! Ich habe es satt, so zu tun, als sei ich das. Deine Mutter war eine Hure, die versucht hat, meinen Platz einzunehmen - eine Hure!«
Sein Vater war dabeigewesen, der Ärmste. Er hatte nicht gewußt, daß Nicholas kaum etwas glücklicher machen konnte als die Eröffnung, Miriam wäre nicht seine Mutter. Erst viel später erkannte er, wie grausam die Welt illegitime Kinder behandelte.
Daraufhin war sein Vater gezwungen gewesen, ihm die Wahrheit zu sagen. Miriam hatte in den ersten vier Jahren ihrer Ehe mit Charles viele Fehlgeburten gehabt, und die Warnung des Arztes, es könnte immer wieder dazu kommen, hatte die Ehe sehr belastet. Charles hatte es nicht ausdrücklich gesagt, aber Nicholas nahm an, daß Miriam eine Abneigung gegen das Ehebett entwickelt hatte. Und so hatte Charles andernorts Trost gefunden.
Kläglich hatte er erklärt, Nicholas' richtige Mutter wäre eine Dame, eine liebe und anständige Frau, die er geliebt hätte. Er hatte diese Liebe eines Nachts betrunken ausgenutzt, und das war das einzige Mal, daß er und sie sich diese Freiheit herausgenommen hatten. Nicholas war in dieser Nacht gezeugt worden. Die Frau konnte das Kind nicht behalten. Sie war unverheiratet. Aber Charles wollte das Kind, wollte es unbedingt für sich haben. Miriam er-klärte sich bereit, gemeinsam mit der Frau zu verreisen, bis das Kind auf die Welt kam. Als sie zurückkehrte, glaubte jeder, Nicholas wäre ihr kleiner Sohn.
Er konnte ihre Verbitterung verstehen, auch ihre Abneigung gegen ihn, aber das erleichterte es ihm nicht, damit zu leben. Er ertrug Miriam weitere zwölf Jahre, bis zum Tode seines Vaters. Daraufhin verließ er England im Alter von zweiundzwanzig Jahren, mit der Absicht, niemals zu-rückzukehren. Diese beiden Jahre, in denen er verschollen war, sollte seine Großmutter ihm nie verzeihen, aber er genoß es, auf seinen eigenen Schiffen über die Meere
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