Malory
Instinkt zu folgen.
Kapitel Vier
D ie Familie hatte sich an diesem Abend nach dem Essen in dem geräumigen Landhaus verteilt. Molly hatte bereits einen Großteil des Christbaumschmucks vom Speicher geholt und sorgfältig ausgepackt und wollte gerade die Treppe in der Halle hinaufgehen, als sie das herangaloppierende Pferd hörte, das vor der Haustür mit einem lauten ›Ho‹ zum Stehen gebracht wurde. Um nachzusehen, wer noch zu so später Stunde zu Besuch kam, ging sie zur Tür. Just als sie diese öffnen wollte, wurde sie schon von außen aufgerissen, und Jasons Bruder James hätte sie um ein Haar umge-rannt, als er aus der frostigen Winterluft hereinstürmte.
Das minderte aber nicht ihre Freude darüber, daß er endlich eingetroffen war, wenn auch so spät am Abend, und sie begrüßte ihn herzlich mit »Fröhliche Weihnachten, Ja ...«
Aber er schnitt ihr sofort das Wort ab mit einem zor-nigen »Verdammt fröhlich, ja!« Dann hielt er doch kurz inne und lächelte sie an. »Schön, Sie wiederzusehen, Molly.« Und dann, im gleichen Atemzug: »Wo steckt dieser Taugenichts von meinem Bruder?«
Sie war so überrascht, daß sie ihn fragte: »Ah, welcher Bruder könnte das sein?«, obwohl sie sehr wohl wußte, daß er Edward oder Jason nie so bezeichnen würde.
Da Jason sie in alles einweihte, was mit seiner Familie zu tun hatte, kannte sie seine Brüder so gut wie er.
Dieser abwertende Ausdruck überraschte sie also nicht besonders. »Den Buben meine ich.«
Beim Klang seiner Stimme zuckte sie zusammen, vor allem, als sein Gesicht bei dem Wort »Bube« einen drohenden Ausdruck angenommen hatte. James Malory war groß, blond und attraktiv wie seine Brüder, und keiner hatte ihn jemals wirklich wütend gesehen.
Wenn James über irgend jemanden erzürnt war, riß er die betreffende Person äußerlich völlig ruhig bleibend mit teuflischem Spott in Fetzen. Mit undurchdringli-chem Gesichtsausdruck schoß er seine Giftpfeile auf ein völlig ahnungsloses Opfer ab.
Der Bube, oder besser Anthony, hatte James’ Stimme gehört. Unseligerweise steckte er den Kopf aus der Salontür heraus, um James’ Stimmung zu erkunden, die allerdings bei den wütend aufblitzenden Augen unschwer zu deuten war. Wahrscheinlich knallte er aus diesem Grunde sofort die Türe zu.
»Ach, du lieber Himmel«, entfuhr es Molly, als James in Richtung Salon weiterstürmte. Mit den Jahren hatte sie sich an die Eigenarten der Malorys gewöhnt, aber es gab immer noch Momente, die sie beunruhigten.
Was jetzt folgte, war eine Art Kraftprobe. James stemmte sein nicht unbeträchtliches Gewicht gegen die Salontür, und Anthony auf der anderen Seite tat sein Bestes, um sie geschlossen zu halten, was ihm auch für ein Weilchen gelang. Er war nicht so stämmig wie sein Bruder, aber er war größer und muskulös. Er mußte sehr genau gewußt haben, daß er ihm nicht un-beschränkt standhalten konnte, vor allem, als James jetzt seine Schulter mit aller Kraft gegen die Tür warf und sie zur Hälfte aufschob, bevor Anthony sie wieder zudrücken konnte.
Molly entrang sich ein zweites »Ach, du lieber Himmel«, als Anthony sich aus dem Dilemma zog.
Während James sein Gewicht zum dritten Mal gegen die Tür warf, sprang sie plötzlich auf, und da sich dieser Sturmangriff leider nicht mehr abbremsen ließ, landete James schwungvoll im Salon. Ein ziemlich geräusch-volles Krachen folgte. Wenige Augenblicke später war James wieder auf den Beinen und wischte sich Tan-nennadeln von den Schultern.
Auf diesen Lärm hin eilten Reggie und Molly herbei.
Die Männer folgten bald danach.
Anthony hatte seine Tochter Jaime auf den Arm genommen, die den Baum gerade mit ihrem Kinder-mädchen betrachtete, und hielt die Kleine jetzt wie einen Schild vor sich, während der Baum traurig auf der Seite lag. Anthony wußte, daß sein Bruder niemals riskieren würde, einem der Kinder weh zu tun, und hatte geistesgegenwärtig die richtige Taktik ge-wählt.
»Der Bube versteckt sich hinter einem Mädchen ...
wie passend!« stichelte James.
»In der Tat.« Anthony grinste und küßte den Scheitel seiner Tochter. »Jedenfalls funktioniert es.«
James fand dies nicht sehr witzig und verlangte, nein befahl im Kommandoton: »Setz meine Nichte ab.«
»Fällt mir nicht im Traum ein, mein Alter – jedenfalls nicht, bevor du mir verrätst, warum du mich umbrin-gen willst.«
Anthonys Frau Rosalynn hatte sich über die Zwillinge gebeugt und sagte ohne sich umzuwenden: »Wie bitte?
Vor
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