Malory
sie in der vergangenen Nacht mitgenommen hatte, ihre Schiffskluft. Es war das erste Mal, dass sie das Zimmer ganz allein für sich hatte, ohne dass Drew oder einer ihrer Freunde anwesend war. Das machte sie sich zunutze, indem sie schnurstracks zu Drews Schreibtisch ging und ihn durchstöberte. Leider nichts, was sich als Waffe geeignet hätte. Ein Strumpfband, sicher eine Erinnerung an eine seiner »Bräute in jedem Hafen«. Ein Minia-turportrait von seiner Schwester Georgina. Viele Rechnungen, die sich ausnahmslos auf das Schiff oder die Ladung bezogen.
Keine Waffen, nicht einmal ein Brieföffner.
Auf dem Tisch aber lag das Logbuch des Schiffes. Solange sie in der Kabine gewohnt hatte, hatte es sich woanders befunden. Nun blätterte Gabrielle es durch, um zu sehen, ob Drew es am Morgen auf den neuesten Stand gebracht hatte, doch der letzte Eintrag stammte vom Tag der Abfahrt aus London. Sie hatte ohnehin nicht erwartet, irgendwelche persönlichen Auf-zeichnungen darin zu finden. Diese Bücher dienten einem bestimmten Zweck, sie enthielten die Geschichte der Schiffe, nicht die ihrer Kapitäne.
Danach fiel Gabrielles Blick auf Drews Koffer, doch da sie nicht wusste, wie lange sie allein bleiben würde, zog sie es vor, zunächst die Tür zu kontrollieren. Stirnrunzelnd stellte sie fest, dass sie immer noch abgeschlossen war. Warum nur?
Wusste Drew, dass die Fessel ihr nicht passte? Hatte er sie aus rein symbolischen Gründen um ihren Fuß gelegt, als kleinen privaten Racheakt? Verdammt. So kam sie jedenfalls nicht aus dem Zimmer.
Letzte Nacht hatte sie sich einen Plan zurechtgelegt. Dabei war sie allerdings davon ausgegangen, dass sie nicht perma-nent in diesem Raum gefangen sein würde. Was nun? Sollte sie warten, bis er schlief, ihm dann etwas auf den Kopf hauen und ihm den Schlüssel aus der Tasche ziehen? Traute er ihr das et-wa nicht zu? Zumindest nicht, dass sie ihm eins über den Kopf zog? Der Nachttopf war goldrichtig dafür, denn abgesehen von der Lampe, die an einem der Stützpfeiler hing, war er der schwerste Gegenstand im Raum. Oder ahnte Drew wirklich nicht, dass die Fessel ihr nicht passte?
Gabrielle wusste nicht mehr, was sie denken sollte, doch sie wollte Drew auf keinen Fall noch einmal verletzen, was ihr nur Alternativen ließ, die ihr gar nicht gefielen. Das Problem war, dass sie sich seinetwegen Hoffnungen gemacht hatte, und daher immer noch Gefühle für ihn hegte. Wäre das anders gewesen, hätte sie keine Sekunde darüber nachgedacht, ob sie ihm etwas auf den Schädel hauen sollte. Immerhin hatte Drew einmal ganz oben auf der Liste der Männer gestanden, mit denen sie gern den Rest ihres Lebens verbracht hätte. Diese Aussichten hatte er zunichte gemacht, indem er ihren Ruf zerstört hatte, aber hinter dem Zorn, den sie gefühlt hatte, steckte eigentlich Enttäuschung. Und jenseits der Bitterkeit, die Gabrielle nach außen zur Schau trug, war sie immer noch traurig.
Doch trotz allem, was Drew ihr angetan hatte, wollte sie ihm nicht körperlich wehtun, sondern ihn nur mit gebrochenem Herzen zurücklassen.
Mit einem tiefen Seufzer, da sie im Moment offensichtlich nichts tun konnte, ging sie zurück zu ihrem Haufen Bettzeug auf dem Boden. Jetzt erst nahm sie den Essensgeruch wahr und fand den Teller, den man ihr hingestellt hatte. Er war mit einer großen Serviette abgedeckt, die fast die gleiche Farbe hatte wie ihre Decke, deswegen hatte sie ihn wohl nicht eher gesehen. Und ehe sie auch nur einen Happen von dem Früh-stück probiert hatte, fiel ihr auf, dass Drews Koch in der Kombüse wesentlich besser war als ihrer.
Als Drew einige Stunden später wieder auftauchte, war Gabrielle reichlich gelangweilt. Sie hatte keine weiteren Entscheidungen getroffen, obwohl sie die Durchsuchung der Kabine – und seiner Koffer – beendet hatte. Letzteres hatte sich zumindest als interessant erwiesen – auch wenn sie sich ein wenig geärgert hatte. Ihr Ärger war, wie sie zu ihrem Erstaunen feststellte, nur altmodischer Eifersucht zuzuschreiben.
Immerhin enthielt einer von Drews Koffern ausschließlich Frauensachen.
Alles davon sah neu aus. Ein Sonnenschirm, eine seidene Börse, ein grellbunter Fächer, ein hübsches, wenn auch billiges Medaillon an einer Kette und sonstiger Schnickschnack. Dazu mindestens ein halbes Dutzend Spitzenschals, einer genau wie der andere, was Gabrielle auf den Gedanken brachte, dass all diese Dinge wahrscheinlich Geschenke waren. Für seine zahllosen Bräute? Der Gedanke
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