Malory
einmal darüber nachgedacht, wie wir vorgehen wollen, wenn wir in den Hafen eingelaufen sind?«
»Ja, ehe wir zu Lacross’ Festung segeln, werden wir in Anguilla anlegen, um eine Frau mit deiner Haarfarbe und ungefähr der gleichen Figur zu finden, denn er soll glauben, du wärst bei mir an Bord. Dann bringe ich ihm die Karten.«
Gabrielle schaute Drew an. »Warte mal eine Minute, willst du damit andeuten, dass ich nicht dabei sein soll?«
»Das ist keine Andeutung, sondern eine Tatsache«, konstatierte Drew. »Nach dem, was du mir von diesem Piraten er-zählt hast, lass ich dich nicht in seine Nähe kommen.«
»Aber er will die Karten gar nicht«, sagte Gabrielle. »Das habe ich dir doch gesagt.«
»Das nimmst du an«, wandte Drew ein. »Immerhin hat er sie gefordert, und seine einzige Bedingung war, dass du sie ab-liefern sollst. Also wirst du in Gestalt deiner Doppelgängerin offiziell an Bord sein, mein Schiff jedoch nicht verlassen. Die Karten werden Lacross übergeben und dann kommt dein Vater frei. Ein schöner Plan, bei dem keiner zu Schaden kommt.«
Gabrielle verdrehte die Augen. »Und falls er meinen Vater nur freilässt, wenn ich leibhaftig vor ihm stehe?«
»Er kann ja wohl kaum sein Wort brechen, nur weil ich die Karten bringe.«
»Zum Teufel, das wirst du schon sehen. Glaub bloß nicht, dass er nur einen Funken Ehre in sich hat. Ich muss vor Ort sein, falls dein Plan fehlschlägt und er dich am Ende auch noch als Geisel nimmt.«
»Macht dieser Gedanke dich ... traurig?«
Erst blinzelte Gabrielle erstaunt, dann runzelte sie die Stirn. Wollte er jetzt irgendetwas Bestimmtes hören? Dass sie sich um ihn Sorgen machte? Dass sie ihn gern hatte? Sie schob die Fragen beiseite, denn bei einer Unterhaltung, die sich um Pierre drehte, wollte sie nicht darüber nachdenken.
Also sagte sie beinahe spöttisch: »Natürlich würde es mich traurig machen. Denn wenn du auch noch gefangen wirst, hät-te ich zwei Geiseln zu retten, oder?«
Drew lachte, zog sie an sich, rieb seine Wange an ihrer und flüsterte ihr ins Ohr: »Nett von dir, dass du mich retten würdest.«
Gabrielle schlang die Arme um seinen Hals und erwiderte lächelnd: »Ich würde dich nur retten, damit ich dich hinterher erschießen kann, weil du so dumm warst, dich fangen zu lassen.«
Drew lachte schallend. »Verdammt, Gabby, mit dir kommt keine Langeweile auf. Ich schätze, ich habe noch nie im Leben so viel gelacht wie seit dem Tag, an dem wir uns kennenlern-ten.«
»Ich wette, das sagst du zu all deinen Bräuten«, erwiderte Gabrielle gespielt kokett.
Er schenkte ihr sein verführerisches Lächeln. »Nein, ich glaube nicht. Nur zu dir.«
Kapitel 44
Sie erreichten ihr Ziel viel eher, als Gabrielle gedacht hatte.
Schon am Spätnachmittag des nächsten Tages legten sie in Anguilla an. Die Insel, die um 1600 von Engländern aus St. Kitts besiedelt worden war, lag so nah an ihrem Zuhause, dass sie noch vor Einbruch der Dunkelheit hätte dort sein können.
Einer von Drews Männern erzählte Gabrielle, dass sie Anguilla regelmäßig anliefen. Das war sicher der Grund, warum Drew die Insel ausgewählt hatte. Dort kannte er sich aus, während St. Kitts offenbar nicht auf seinen Routen lag.
Gabrielle hatte nie genug Mut aufbringen können, mit Drew noch einmal darüber zu reden, ob er ihre Männer gehen lassen würde. Denn falls er Nein gesagt hätte, wäre ihr Waffenstillstand auf der Stelle beendet gewesen. Und außerdem wäre es, nachdem er seine Hilfe zugesagt hatte, ihrer Meinung nach dumm von Drew, wenn er nicht alle verfügbaren Männer einsetzte, insbesondere jene, die bereit waren, für Nathans Befreiung Kopf und Kragen zu riskieren.
Trotzdem stand sie an der Reling und wartete mit angehaltenem Atem, ob ihre Freunde nach dem Öffnen des Frachtraums ins Gefängnis oder in die Freiheit entlassen werden würden. Gezwungenermaßen hatte sie sich verschiedene Stra-tegien zurechtgelegt – nur für alle Fälle.
Da die Insel von Briten verwaltet wurde und Drew ganz offensichtlich Amerikaner war, bestand eine kleine, allerdings hauchdünne Chance, dass sie notfalls imstande war, den Spieß noch einmal umzudrehen. Schließlich konnte Richard, wenn es sein musste, wie ein echter englischer Krösus auftreten.
Und die englischen Behörden würden eher ihren eigenen Leuten glauben als einem Amerikaner. Doch Gabrielle betete, dass es nicht so weit kam. Das Letzte, was sie wollte, solange der Waffenstillstand zwischen ihnen noch andauerte,
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